Heimat - wat is dat?
- 1995 -
Is al lang heer. So üm de Tiet van 1955 wull ik för mien Moder hör Onkel un Tant en plattdüütsch Leed schrieven. De fiern h”r Golden Hochtiet. Buern. Huus un Hoff weren affbrennt. Brandbomben. Krieg. En Söhn weer fallen. Man se harrn alltiet den Moot behollen un nie veel Wöer maakt.
So schreev ik denn mien eerst plattdüütsch Riemelee. Dat schull en Heimatleed wesen. Wilhelm Benecke maak dar en Melodie to. Dat weer de Mann, de al in sien jung Jahren to Heyno Focken sien'n Text »Mien Jeverland, wu leev ik di« de Melodie maakt harr.
Up de Golden-Hochtiets-Fier hebbt se denn das Leed mit mienen nejen Text vördragen: mien Fro hett't sungen un Wilhelm Benecke speel up't Klaveer:
Mien Freesland
Gah mit mi dör't Land, denn gaht wi alleen,
denn kannst du mit Stolt dien Land ansehn:
De Warfen, de Möhlen, de Weiden so gröön.
Mien Freesland, mien Heimat, wu büst du so schön!
Kummst du van de Stadt, gah över de Klamp
und denn up dat Steenpadd liekut dör dat Land.
De Kiewitt, de röppt di, un Keuh kannst du sehn.
Mien Freesland, mien Heimat, wu büst du so schön!
Wurd di de Tiet lang, denn drink en Tass Tee.
Gah ok up den Diek lang un kiek na de See.
Wenn Not is, denn helpt wi, all sünd wi denn een.
Mien Freesland, mien Heimat, wu büst du so schön!
Is allerhand passeert siet 1955 - ok mit mi.
Is allerhand passeert mit de Welt, mit de Minsken, mit de Politik, bi dat Denken, Bedenken und Överdenken, bi dat Lehren, bi dat Dartolehren, Üm-Lehren un Waak-Weren. Man dar passeer ok wat mit den Text van mien eerst plattdüütsch Leed.
Dree Jahr later weer dat Woort »Heimat« al rutflagen. Ik harr mi wat seggen laten van mien Frünnen. De menen, mit so'n Woort röök dat na »Heimatschnulze«. Mit dat Woort »Heimat« harrn de Rassisten un Nationalisten veel Unglück in Gang brocht. Dit Woort »Heimat« harrn se vergift't. Dat kunn man nun nicht mehr utspräken. Un so hett mien plattdüütsch Leed bold twintig Jahr lang up Ies lägen.
»Heimat« - wat is dat för'n Woort? Wat bedütt dat? Na mien Menen is dat erst mal ganz eenfach de Stää, wor ik heer kaam, ov: wor ik tohus bün, ov: wor ik mi so as to Huus föhlen doo. »Home« seggt de Engländer, man bi uns bedütt dat vandag wat mehr. Bi uns is dar veel Geföhl in: en Geföhl van Tohuus un Säkerheit, up Hochdüütsch: »Das Gefühl des Daheim-Geborgenseins«.
Heimatgefühl, Heimatliebe, Heimattreue, Heimatglück, Heimatverein, Heimatzeitung, Heimatfunk, Heimatmuseum, Heimatbund, Heimatglaube, Heimat - deine Sterne, Heimatschutz, Heimat-Flak-Batterie, Heimatlose Jugend.
Wenn männich Lüü hier bi mi tohuus mi seehgt, denn kann dat passeeren, dat se seggt: »Kiek an, dar is uns Heimatdichter«. Harr ik mi dat nich sülvst inbrocht mit so wat as »Mien Freesland, mien Heimat«? Mi gefoll dat Woort nich mehr. Man de Lüü dachen sük dar nix bi. Se menen ganz eenfach: Wenn een Plattdüütsch schrieven deit, denn pläggt he sien Heimatspraak, denn is he en Heimatdichter. Bün ik en Heimatdichter? Verdammt!
Wat ik in de School lehrt hebb? As ik veertein Jahr old weer, keem Dr. Jakob Graf sien Schoolbook herut: »Biologie für Oberschule und Gymnasium, Band 3«. Wat dar in steiht? »Das Gefühl der Natur-Verbundenheit sowie der damit verbundene Heimatglaube sitzt heute noch dem deutschen Menschen als heiliges Erbgut tief im Blute«.
»Heiliges Erbgut«, leeve Lüü! Un denn tell he allens up, wat den düütschen Minsken na sien Menen verbinden dee mit sien »Heimatnatur«. Un all dat, wat den Minsk verbinden dee mit sien »Heimatnatur«, so meen Dr. Jakob Graf, dat weer de Inhalt van en »Lebensgesetz«, wat he dat »Gesetz von Blut und Boden« nömen dee.
1921 weer in Berlin en Book van Wilhelm Schaer herutkamen: »Heimat des Herzens«. Dar steiht en Upsatz in, de he in'n Harvst 1920 schrieven hett: »Heimatkunst in niederdeutscher Dichtung«. Schaer meen in dissen Upsatz: »Ein Schriftsteller, der sich erfolgreich im Dienst der Heimatkunst zu betätigen wünscht, hat nach sachkundigem Urteil von zwei Bedingungen, die man ihm stellen muß, wenigstens eine vollständig zu erfüllen: Gelingt es ihm, bei Wiedergabe des geschauten Heimatbildes gleichsam Schollenduft zu erzeugen, so wird ihm niemand das Recht absprechen, sich Heimatkünstler zu nennen«.
Un denn schreev he noch: »Wer die Heimat liebt, liebt auch das große Vaterland«. Markst Müüs, Macker? - - - Van de »Heimat des Herzens« meen Wilhelm Schaer: »Herzensheimat ist, wo unsere toten Lieben mit uns heimen und ihre Stimmen aus der Ewigkeit am klarsten - eindringlichsten zu uns reden«. En paar Jahr na den Weltkrieg, Lüü.
Bi uns in de School hung siet de Tiet en groot holten Tafel an de Wand: mit insknittkert Naams van all de Gymnasiasten, de Veertein-achtein in'n Krieg bläven weren. »Bläven« wurr dat nöömt ov »Fallen«, wiel dat se sük schamen ov scheneeren bi de Gedanken an de Wöer MOORDEN, SLACHTEN un DOOTSLAAN. Un de latiensche Spröök, de uns sää, dat dat nödig deit - dat't notwennig is -, dat een starven deit för't »Vaterland«.
Wenn ik dat so recht bedenken doo, denn wunner ik mi nicht mehr, dat dar männich een Minsk anfung, den Kopp to bruken, as dat 1945 to Ennen gung mit dat »Dusendjahrig Reich«, dat dar männich een to veel krääg, wenn dar wedder well anfung mit dat Woort »Heimat«, dit Woort, wat se toschannenbruukt harrn för Rassismus un Militarismus. Ja, wu man dat ok anfaten wull: För de junge un kritische Generation klääv an dat Woort »Heimat« Bloot van Völkermoord und Verbräken. Dar harr nümms wat mit in'n Sinn. [...].
1975 hett Michael Scharang in sienen Upsatz »Landschaft und Literatur« meent, well alltiet de »Heimat« beprahlen deit, bi de kann dat woll angahn, dat he de Lüü blots wiesmaken will, dat uns Gesellskup, so as de nu ist, en Stück Natur is, de wi nich veränndern köönt. Michael Scharang meent, dör süxe »Heimatpropagandisten« schullen wi uns nich de »Heimat« affspenstig maken laten. Sien »Heimat« geern hebben un to sien »Heimat« stahn, dat kunn vandag nix anners bedüden, als dat'n sük dar Gedanken över maken deit, wu'n dar to steiht, un dat'n dar mitnanner över spräken deit.[...] Un denn meent Michael Scharang: »Ein seiner natürlichen Umgebung entfremdeter Mensch läßt sich widerstandsloser unterdrücken.« Ok vandag schullen wi noch all dat schrieven; un wenn wi dar nich van schrieven, denn schullen wi Schrievers dar tominnst an denken, wenn wi schrievt.
Dat »Weltkunde« anfangen deit bi de »Heimatkunde«, dat hebbt ok de groten Romanschrievers al lang begräpen. Und dat Aktenpapieren ut Staatsarchiven spannender wesen köönt as Kriminalromans, dat hebb ik sülvst beläävt. Hett doch allerhand los wesen bi uns up't platte Land, wat männich Lüü so'n beten minnachtig de »Provinz« nöömt: Uns »Heimat«. In de »Provinz«, dar striedt se, dar hebbt se al jahrenlang sträden. Männich Lüü willt dar an leevsten nix mehr van hören: »Ökologie«, »Ökonomie«, »Radioaktivität«, »Bundes-Immissionsschutzgesetz«, »Vorbescheid«, »Teilgenehmigungsverfahren«, »Rechtsbehelfsbelehrung«, »Auslegungsfrist«, »Einlegung des Widerspruchs«, »Entsorgung«. Dat Woort »Entsorgung« klingt so, as wenn man sien Sorgen denn los weer. [...]
Uns Plattdüütsch hebb ik mal »Spraak ut de Provinz« nöömt, wieldat nah mien Dünken up't Land de meesten Plattsnackers wahnt. Ik hebb dar ok en annern Naam för, de ik Hochdüütsch verklaren will:
»Sprache der Betroffenen«, denn ich denke an die vielen Leute bei uns auf dem platten Lande - möglicherweise eine immer noch unentschlossene und schweigende Mehrheit -, die am meisten davon betroffen sein werden, wenn man ihren Lebensraum einem zweifelhaften Fortschrittsglauben zuliebe verhunzt; die betroffen sein werden, wenn man fortfährt, den Nützlichkeiten zuliebe unter dem verlogenen Banner des Fortschritts, die Landschaften zu schänden und zu vergiften - Landschaften, die wir unsere und unserer Kinder Heimat nennen.
Wat mag uns un uns Kinner in de tokamen Tiet dat Woort »Heimat« bedüden? Toeerst weer dat blots en Dack över'n Kopp, dann wurr dat de Stää, wor man Hulp kriegen kunn, wenn man in Not weer: »Sozialrecht«. Denn wurr dit Woort »Heimat« in de gülden Abendsünn van de Romantikers so sööthaftig mit Gef”hlen verkliestert, dat dat Volk nahderhand up den Liem güng. Verhunzt. För mi is »Heimat« vandaag ümmer noch en Woort, wor'n sük noch mehr Gedanken över maken schull, denn alltiet un överall up de Welt mööt't Minsken ok vandaag noch »Heimat« söken - Asylrecht -, mööt't bangen un hopen, dat se wurgens en Bürgerrecht kriegt. [...]
»Heimat« is Recht up Schutz, bedütt Säkerheit, is mehr as'n Dack över'n Kopp, ist mehr as sööthaftig Gedanken. »Heimat« is politisch Recht, ist Wahlrecht, is Recht up Arbeit. »Heimatrecht« för alle Minsken: Is dat en Slödel för den Fräden up de Welt?
Anmerkungen
Oswald Andrae, nachdenklicher Christenmensch und niederdeutscher Mundartist, wurde 1926 in Jever geboren, wo er auch bis zum Abitur zur Schule ging, wo er seinen Brotberuf als Augenoptiker ausübte, wo er getreu seinem Wahlspruch »Riet dien Muul up!« seine literarischen Werke schrieb (Lyrik, Prosa, Lieder, Hörspiele, Theaterstücke, Essays) und wo er 1997 gestorben ist. Sein Aufsatz »Heimat - wat is dat?« ist die überarbeitete Fassung eines Features, das er 1980 für Radio Bremen geschrieben hatte.
Quelle
Oswald Andrae, Heimat - wat is dat? Von der Liebe zu einem Lande, das mancher verließ. Oldenburg, Isensee, 1996, S. 6 - 20.