Gegenwart des Geistes ist die Seele mannhafter Taten
- 1786/88 -
(Ghostwriter: Gottfried August Bürger)
[...] Einem Mann, meine Herren, der einen Gaul, wie mein Litauer war, zu reiten vermochte, können Sie auch wohl noch ein anderes Voltigier- und Reiterstückchen zutrauen, welches außerdem vielleicht ein wenig fabelhaft klingen möchte. Wir belagerten nämlich, ich weiß nicht mehr welche Stadt, und dem Feldmarschall war ganz erstaunlich viel an genauer Kundschaft gelegen, wie die Sachen in der Festung stünden. Es schien äußerst schwer, ja fast unmöglich, durch alle Vorposten, Wachen und Festungswerke hinein zu gelangen; auch war eben kein tüchtiges Subjekt vorhanden, wodurch man so etwas glücklich auszurichten hätte hoffen können. Vor Mut und Diensteifer fast ein wenig allzu rasch, stellte ich mich neben eine der größten Kanonen, die soeben nach der Festung abgefeuert ward, und sprang im Hui auf die Kugel, in der Absicht, mich in die Festung hineintragen zu lassen. Als ich aber halbweges durch die Luft geritten war, stiegen mir allerlei nicht unerhebliche Bedenklichkeiten zu Kopfe. »Hum«, dachte ich, »hinein kommst nun wohl, allein wie hernach sogleich wieder heraus? Und wie kann's dir in der Festung ergehen? Man wird dich sogleich als einen Spion erkennen und an den nächsten Galgen hängen. Ein solches Bett der Ehre wollte ich mir denn doch wohl verbitten.« Nach diesen und ähnlichen Betrachtungen entschloß ich mich kurz, nahm die glückliche Gelegenheit wahr, als eine Kanonenkugel aus der Festung einige Schritte weit von mir vorüber nach unserem Lager flog, sprang von der meinigen auf diese hinüber und kam, zwar unverrichteter Sache, jedoch wohlbehalten bei den lieben Unserigen wieder an. **********************Ein anderes Mal wollte ich über einen Morast setzen, der mir anfänglich nicht so breit vorkam, als ich ihn fand, da ich mitten im Sprunge war. Schwebend in der Luft wendete ich daher wieder um, wo ich hergekommen war, um einen größeren Anlauf zu nehmen. Gleichwohl sprang ich auch zum zweiten Male noch zu kurz und fiel nicht weit vom anderen Ufer bis an den Hals in den Morast. Hier hätte ich unfehlbar umkommen müssen, wenn nicht die Stärke meines eigenen Armes mich an meinem eigenen Haarzopfe, samt dem Pferde, welches ich fest zwischen meine Knie schloß, wieder herausgezogen hätte.*******************Gegenwart des Geistes ist die Seele mannhafter Taten. Wenn Soldaten und Seeleute öfters dadurch glücklich davonkommen, so dankt der Weidmann ihr nicht seltener sein gutes Glück. So schwammen einst auf einem Landsee, an welchen ich auf einer Jagdstreiferei geriet, einige Dutzend wilder Enten allzuweit voneinander zerstreut umher, als daß ich mehr denn eine einzige auf einen Schuß zu erlegen hoffen konnte; und zum Unglück hatte ich meinen letzten Schuß schon in der Flinte. Gleichwohl hätte ich sie gern alle gehabt, weil ich nächstens eine ganze Menge guter Freunde und Bekannten bei mir zu bewirten willens war. Da besann ich mich auf ein Stückchen Schinkenspeck, welches von meinem mitgenommenen Mundvorrat in meiner Jagdtasche noch übriggeblieben war. Dies befestigte ich an eine ziemlich lange Hundeleine, die ich aufdrehte und so wenigstens noch um viermal verlängerte. Nun verbarg ich mich im Schilfgesträuch am Ufer, warf meinen Speckbrocken aus und hatte das Vergnügen, zu sehen, wie die nächste Ente hurtig herbeischwamm und ihn verschlang. Der ersten folgten bald alle übrigen nach, und da der glatte Brocken am Faden gar bald unverdauet hinten wieder herauskam, so verschlang ihn die nächste, und so immer weiter. Kurz, der Brocken machte die Reise durch alle Enten samt und sonders hindurch, ohne von seinem Faden loszureißen. So saßen sie denn alle daran, wie Perlen an der Schnur. Ich zog sie gar allerliebst ans Land, schlang mir die Schnur ein halbes Dutzend mal um Schulter und Leib und ging meines Weges nach Hause zu. Da ich noch eine ziemliche Strecke davon entfernt war und mir die Last von einer solchen Menge Enten ziemlich beschwerlich fiel, so wollte es mir fast leid tun, ihrer allzuviele eingefangen zu haben. Da kam mir aber ein seltsamer Vorfall zu statten, der mich anfangs in nicht geringe Verlegenheit setzte. Die Enten waren nämlich noch alle lebendig, fingen, als sie von der ersten Bestürzung sich erholt hatten, gar mächtig an mit den Flügeln zu schlagen und sich mit mir hoch in die Luft zu erheben. Nun wäre bei manchem wohl guter Rat teuer gewesen. Allein ich benutzte diesen Umstand, so gut ich konnte, zu meinem Vorteil und ruderte mich mit meinen Rockschößen nach der Gegend meiner Behausung durch die Luft. Als ich nun gerade über meiner Wohnung angelangt war, und es darauf ankam, ohne Schaden mich herunter zu lassen, so drückte ich einer Ente nach der anderen den Kopf ein, sank dadurch ganz sanft und allmählich gerade durch den Schornstein meines Hauses mitten auf den Küchenherd, auf welchem zum Glück noch kein Feuer angezündet war, zu nicht geringem Schreck und Erstaunen meines Koches. [...] Wie gesagt, man muß sich nur in der Welt zu helfen wissen.
Anmerkungen
Der Freiherr Karl Friedrich Hieronymus von Münchhausen aus der »Weißen Linie« des alt-niedersächsischen Adelsgeschlechts, geboren am 11. Mai 1720 in Bodenwerder und daselbst am 22. Februar 1797 gestorben, war ein Krieger, der es in russischen Diensten bis zum Rittmeister brachte, ein Gutsherr und ein trinkfester Geschichten-Erzähler im geselligen Kreise obendrein, aber ein Schriftsteller war er nicht. Gleichwohl wurden die angeblich selbsterlebten Abenteuer, die er »bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde« vorzutragen pflegte, schon früh – und zu seinem beträchtlichen Ärger – auch der Lesewelt seiner Zeit bekannt, als nämlich 1781 im achten Band der Berliner Schnurren-Sammlung »Vade Mecum für lustige Leute«, verfaßt von einem anonymen (und bis heute nicht identifizierten) Autor, unter dem Titel »M-h-s-nsche Geschichten« sechzehn »selbsterzählte« Erlebnisse des Freiherrn erschienen, der prompt den Namen »Lügenbaron« weghatte. Dem Zorn des Betroffenen zum Trotz brachte das »Vade Mecum« 1783, im neunten Band, noch zwei weitere Münchhausiaden unter die Leser, und nun war der Baron so bekannt, daß der gebürtige Hannoveraner Rudolf Erich Raspe (1737 – 1794), der wegen einiger Unterschlagungs-Delikte nach London geflüchtet war und dringend Geld brauchte, diese Schwadronaden ins Englische übersetzte, auch – offenbar befeuert von seinem Helden – noch einige hinzuerfand, das Ganze 1785 als Buch gestaltete und damit einen britischen Verkaufsschlager schuf, der wiederum den Göttinger Poeten und Professor Gottfried August Bürger auf den Plan rief. Gottfried August Bürger (1747 – 1794) übersetzte das Ganze – ziemlich frei – zurück ins Deutsche, erlog einen englischen Druckort seines Werks und fälschte seinerseits eine Reihe neuer Original-Abenteuer in das Buch hinein, darunter die drei oben abgedruckten. Bürgers Buch erschien 1786, und schon zwei Jahre darauf war eine beträchtlich erweiterte zweite Auflage fällig. Ein kleines Manko gab's wohl, denn Meister Bürger war zwar ein begnadeter Lyriker, aber kein großer Erfinder. Doch für solche Sache hatte er in Göttingen seinen Kollegen Lichtenberg zur Seite – der Physiker half beim Ausdenken zusätzlicher Lügengeschichten kräftig mit (etwa beim ballistisch aparten Ritt auf der Kanonenkugel). So ging's. Denn wie sagt schon Münchhausen so richtig: »Man muß sich nur in der Welt zu helfen wissen.« Und so bekam der Baron Münchhausen, ohne einen Literatenfinger gerührt zu haben, einen Stammplatz im Universum der Phantasten, den er selber aber gar nicht wollte. Eine Entschädigung indes bot ihm der Musengott : Hieronymus von Münchhausen hat beide Adepten, sowohl Raspe als auch Bürger, um drei volle Jahre überlebt! Ungelogen!
Quelle
Gottfried August Bürger, Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, wie er dieselben bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde zu erzählen pflegte. Aus dem Englischen. (1786/88). In: Sämtliche Werke (Hrsg. Wolfgang von Wurzbach). Leipzig : Hesse, o. J. [1902], 2.Band, S. 163f, S. 152f Vergl. auch: Heiko Postma, Baron Münchhausen (von Gottfried August Bürger). In: Ekkehard Böhm & Heiko Postma, Reisende in Anderswelten. Kleine Galerie großer Helden der Phantastischen Literatur. Hannover : Revonnah, 2005, S. 121ff (S. 171f)
Publikationen
Titel | Rubrik | Verlag, Verlagsort | Erscheinungsjahr | Erwähnte Orte |
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Reisende in Anderswelten - Kleine Galerie grosser Helden der phantastischen Literatur - 42 Klassiker des Genres | Revonnah Hannover | #2005 | ###morelink### |