Ein Kegelspiel für Riesen
- 1867 -
Aus: »Verschlungene Wege«
Schloß Clemenswerth
Und dann hielt der Wagen an dem Dorfwirthshaus und unsere Wegfahrer stiegen aus, und nach einer kurzen Erfrischung schritten sie einer mächtigen breiten Doppelallee von hohen Linden und stolz gestreckten Edeltannen zu, die am Ausgang des Dorfes begann und hinaufführte zu einem seltsamen System von Roccoco=Bauten, zu einer in Stein ausgeführten Fürstenlaune, zu einer charakteristischen Anekdote des achtzehnten Jahrhunderts in Ziegeln und Quadern, zu einem Jagd- und Lustschloß, welches Mynheer van der Toll allerdings ganz so merkwürdig fand, wie Herr Fresenborg es ihm vorher gesagt und beschrieben.
Zuerst zeigte sich zur Linken ein halbkreisförmiges Gebäude, für den Marstall bestimmt, und dann am Ende der Allee, inmitten des Kranzes von prächtigem Baumwuchs, ein runder Platz, dessen Mittelpunkt ein kleines kreuzförmiges, vier kurze Flügel nach allen vier Weltgegenden ausstreckendes Schloß bildete; im Kreis um dies Schloß aber standen acht ansehnliche Pavillons . . . wie acht Kegel um den König in der Mitte gestellt, ein Kegelspiel für Riesen, die eine Kugel, groß wie Nadar's Luftballon, hätten die lange Allee heraufschleudern können! Still und einsam genug war es freilich in der Weltabgeschiedenheit des dunklen Parkes, um sich dahinein solch eine gespenstige Keglergesellschaft, wie einst Rip van Winckle in der Felsenöde sie antraf, träumen zu können: oder um im Geiste jede andere Gesellschaft des todten Jahrhunderts, das seinen Geschmack und seine heitere Lebensanschauung in dieser Schöpfung ausgeprägt hatte, sich hierhin phantasiren zu können - auf und abwandelnd unter den Wipfeln der blühenden Linden und der Edeltannen, eine Gesellschaft in aufgenommenen seidenen Roben oder langen rauschenden Schlendern, in gestickten Sammtröcken und gallonirten Hüten, coquettirend, mit den Blicken hinter zierlich bemalten Fächern Verstecken spielend, schäkernd oder in sinnenden Gedanken die Schachzüge kleiner boshafter Intriguen vorbereitend. - -
Ein Castellan kam, um den Fremden das Schloß zu zeigen. Das Innere glänzte ihnen entgegen mit Vergoldungen, Marmor, Plafond= und Supportengemälden. Große Jagdscenen waren an den Wänden abgebildet, wo viele Herren in rothen Jagduniformen inmitten ihrer Bundesgenossen, der Schweiß= und Parforce=Hunde, einen armen verendenden Edelhirsch umdrängten und der vornehmste, ein schöner blauäugiger Prinz, der nebenbei ein Erzbischof war, ihm fröhlich den Genickfang gab; andere, wo derselbe schlankgewachsene und blauäugige Erzbischof wie der wilde Jäger im tollsten Rennen hinter dem gehetzten Wilde über die Haide dahin galoppirt, immer umheult, umschnoben und umdrängt von seinen treuen Alliirten in diesem »Abbild des Krieges«, den wilden Bluthunden. Und dann waren sehr schöne gewirkte Seidentapeten da in stuckverzierten Umrahmungen und reiche Krystalllüstres und die zierlichsten kunstreichen Stuccaturarbeiten, die man sehen konnte.
Mynheer van der Toll fand das alles sehr beachtenswerth und merkwürdig und schlug mit der flachen Hand auf jedes der Kamingesimse aus irgend einer kostbaren Marmorart, wie um sich von seiner glatten Politur zu überzeugen, und prüfte mit eigenen Gliedern die Weiche der Polster und Divans . . . Henrietta aber warf nur sehr kalte zerstreute Blicke auf die ganze Herrlichkeit; sie zog ihren Überwurf von schwarzer Seide dichter um sich und fand es unausstehlich kühl in den marmorparkettirten Zimmern und Sälen; sie ließ die übrige Gesellschaft die Treppe zum zweiten Stock hinaufsteigen und wandte sich dem Ausgang ins Freie wieder zu.
Therese, welche das Schloß kannte, kam zurück, um ihr zu folgen und Gesellschaft zu leisten - die beiden jungen Mädchen gingen die Schloßtreppe hinab und setzten sich auf eine Gartenbank neben dem Portal.
Anmerkungen
Clemens August, im Jahre 1700 als zweiter Sohn des Kurfürsten Max Emanuel von Bayern geboren, nunmehr Fürstbischof von Paderborn und Münster, Erzbischof und Kurfürst von Köln, Bischof von Hildesheim und Osnabrück, hatte im Frühjahr 1736 einen interessanten Auftrag für seinen Baumeister, den Obristen Johann Conrad von Schlaun: »Wir haben gnädigst beschlossen, zu unserer bequemeren Wohnung ein Jagdschloß auf dem sogenannten Hümmling erbauen zu lassen«. Und Schlaun baute tatsächlich eine Schloßanlage, die in Norddeutschland nicht ihresgleichen hatte, in der Bischof Clemens August bis zu seinem Tod im Jahr 1761 seinen diversen Jagdleidenschaften frönen konnte und die bis heute ein Besuchermagnet ist - eben Clemenswerth bei Sögel.
In Clemenswerth, wo sein Vater als Amtmann beschäftigt war, wurde 1814 auch Levin Schücking geboren. Seine Mutter, die Dichterin Katharina Sibylla Schücking, war mit Annette von Droste-Hülshoff befreundet, die später auch den Sohn protegierte. Seiner heimatlichen Wohnstatt setzte Levin Schücking 1867 in dem Roman »Verschlungene Wege« ein literarisches Denkmal. Er selbst, der (mehr als) fruchtbare Romancier, wohnte da schon auf Schloß Sassenberg bei Warendorf. Gestorben ist Levin Schücking am 31. August 1883 in Bad Pyrmont, wo sein Sohn Adrian als Sanitätsrat amtierte.
Quelle
Levin Schücking, Verschlungene Wege. Hannover, Rümpler, 1867, S. 50 - 53