Und dann hatten wir ja noch Kurt Schwitters
- 1950 -
»Und dann hatten wir ja noch Kurt Schwitters«
oder
»Verschüttet«
Krischan über Kurt
oder
»Per aspera ad absurdum«
Die Frau des Verfassers entrollte ein Stück Tapete. »Schau, Kurt«, sagte sie zu Schwitters, »die neue Wandbekleidung für Krischans Zimmer, fein was? Morgen früh kommt der Tapizierer.« – »Und dann heute noch Gästeabend?« – »Es paßt gerade so. Kennst Du den Sanitätsrat Oppenberg?« – »Nee.« – »Nicht dem Namen nach?« – »Nee.« – »Also, Kurt, er möchte Dich kennenlernen – aus beruflichem Interesse, er hält Dich für total blam-blam.« – »Das tun andre auch.« – »Gewiß, Kurtchen! Aber hier spricht der Fachmann. Er will sich mal ansehen, wie Du Dich so im harmlosen, privaten Verkehr benimmst« (sie grinste lausbubenhaft). »Er möchte ergründen, in welche Kategorie der Irrsinnigen Du einzuordnen bist.« – »Ein reizender Zeitgenosse! Übrigens sind an diesem Versuch schon ganz andere Leute gescheitert als dieser Herr Op – Op – ?« – »Oppenberg.« – »Richtig: Oppental.« – »Nein, Oppenberg. Georg Oppenberg.« – »Ja so, Oppenberg. Und was soll ich dabei tun?« – »Nichts. Du brauchst Dich nur zu benehmen. Wenn Du Dich so benimmst, wie es in solchem Falle Deine Art ist, kann das eine lustige Sache werden, und deshalb haben wir ihn mit eingeladen. Die Folgen – seine Sache. Also, Kurtchen, benimm Dich!« – »Und morgen wird tapiziert?« – »Ja.«
Die Leutchen saßen in meinem Zimmer, das morgen tapiziert werden sollte, an kleinen Tischen herum. Unterhielten sich und aßen wohlpräparierte Butterbrote. Der Sanitätsrat – aufmerksam äugend wie ein Wiesel in einer Tiergeschichte – er war fest entschlossen, alles in sich aufzunehmen, was Schwitters tun und sagen würde.
Der sagte aber garnichts. Und was er tat – er futterte. Schaute weder nach rechts, noch nach links, schaute immer nur starr geradeaus – – – mitten durch den Sanitätsrat hindurch. Alle Bemühungen Oppenbergs, Schwitters in Bewegung zu setzen, verpufften. So ging das wohl eine Stunde lang. – Dann aber geschah etwas Ungeheuerliches:
Schwitters erhob sich, nahm ein Messer, ritzte die Tapete ein und riß einen großen Flatschen von der Wand herunter. »Kurt«, rief seine Frau, »bist Du toll?« Kurt aber schüttelte sein göttliches Haupt und setzte in aller Ruhe seine Arbeit fort. Ein Tapetenfetzen nach dem anderen sank zu Boden.
Helma Schwitters, die verständnisvollste aller Frauen, saß fassungslos da. Sie war ja allerhand gewöhnt von dem teuren Gatten. Aber dieses ging denn doch über alles. »So verrückt ist er ja noch nie gewesen«, sagte sie. »Mein Gott, was ist das nur?« – »Das ist destruktive Kunst«, murmelte Kurt, stieg auf einen Stuhl, ritzte und riß und deformierte die Wand vollständig. Die Tapetenstücke flogen nur so in der Bude herum, dichte Staubwolken schwebten durch den Raum.
Nur der Sanitätsrat lachte nicht. Er saß jetzt da wie eine schwer beleidigte und zu Tode verängstigte Nachteule. Da stieg Schwitters auf einen Tisch und lockerte das oberste Stück einer Tapetenbahn, die unten nicht mehr ganz fest saß. Sie platzte ab, neigte sich graciös und kippte unter einem unheimlichen Rascheln nach vorn. Der ganze Segen überschüttete den entsetzten Sanitätsrat mithand seiner Iditioten-Theorie. Es war ihm nicht gelungen, mit ihr zu landen – verschüttet! To- tal verschüttet!!
Anmerkungen
Der Text entstammt Christoph (»Krischan«) Spengemanns urkundigem Werk »– – – mit H E I N R I C H beginnend – – – ein H a n n o v e r – B u c h«, einem Buch, das mit den Worten beginnt: »In diesem wichtigen Augenblick des Werdens, hat der Verfasser den Faden verloren!« Womit deutlich wird: Der Verfasser gebietet über einen gewissen hinterhältigen Witz. Leider ist das große Buch nie im Druck erschienen, doch das möchte sich einmal ändern.
Genau wie der Titelheld seines 1924 entstandenen (und immerhin schon 1991 erschienenen) Romans »Y« ist auch Christoph Spengemann als »Sohn achtbarer Eltern« zur Welt gekommen, und zwar im Jahre 1877 in Hannover. Er besuchte dortselbst ein Gymnasium, bis er »keine Lust mehr hatte«. Statt dessen absolvierte er eine Kaufmannslehre. Dann leistete er seinen Militärdienst ab, und zwar an einem Ort, der schon vom Namen her dazu prädestiniert war, nämlich in Bückeburg. Anschließend heiratete er, wurde Vater und, im Jahr 1903, auch Zeichner und Poet. Gedichte und Zeichnungen von Spengemann erschienen, zum Beispiel, in der Münchener Zeitschrift »Jugend«, nach der heute ein ganzer »Stil« benannt ist (wenn auch nicht grad der Krischan Spengemanns). In der hannoverschen Lokalpresse betätigte er sich als Musik- und Theaterkritiker. Daneben entwarf er Romane, die er nicht veröffentlichte. Leider. Während des 1. Weltkriegs begann auch Spengemanns Freundschaft mit Kurt Schwitters. Und nach dem Krieg brachte Spengemann seinen Traktat »Die Wahrheit über Anna Blume« heraus – gewidmet »allen deutschen Kunstkritikern, die es nicht fassen können. Den betrübten Lohgerbern aller Länder leise weinend zugeeignet«. (»Lohgerber« sind in Spengemann Privat-Diktion jene Leute, die bei den deutschen Romantikern als »Philister« firmiert hatten). Hauptberuflich arbeitete Spengemann nun als Werbefachmann, erst bei der Firma Bahlsen (für die er, beispielsweise, einen »Leibniz-Keks-Walzer« komponierte), dann bei Pelikan, schließlich bei »Sichel«, wo er – höchst erfolgreich – den dort produzierten Tapetenkleister bewarb, bis Dr. Walter Dux, der Sichel-Chef, von den Nazis ins englische Exil getrieben wurde (wo er alles tat, um Kurt Schwitters zu unterstützen, der ja seinerseits, wie gehört, Einiges vom »Tapizieren« verstand).
Auch Spengemann mochte sich mit den Nazis nicht abfinden und arbeitete an Gegenmaßnahmen. Vergebens. 1936 wurde er zusammen mit seiner Frau Luise und seinem Sohn Walter wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« verhaftet. Das Urteil: anderthalb Jahre Zuchthaus für Luise, zwei Jahre für ihn, zehn Jahre für Walter. Kurt Schwitters versuchte dann, von England aus, einen Verleger für Spengemanns »groteske Romane« zu finden. Vergeblich auch dies. Auch nach dem Ende des NS-Herrschaft konnte Spengemann keines seiner Bücher mehr publizieren, und so ist er 1952 in Hannover gestorben. Aber sein Nachlaß ist noch da! Und eines Tages wird er gedruckt! »Oh Hannover – – –«
Quelle
Christoph Spengemann, – – – mit H E I N R I C H beginnend – – – ein H a n n o v e r – B u c h. Typoskript: Kirchrode, 1950.
Publikationen
Titel | Rubrik | Verlag, Verlagsort | Erscheinungsjahr | Erwähnte Orte |
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– – – mit H E I N R I C H beginnend – – – ein H a n n o v e r – B u c h | Typoskript Kirchrode | #1950 | ###morelink### |