Schick mir keine Uhrbänder, sondern etwas zu lesen
Briefe aus den Jahren 1783 – 1809
An Luise Gotter
Göttingen am 30. Sept. 1783
[...] Noch in aller Eil ein Wort, meine Liebe. Göthe war hier, und ich hab ihn nun gesehn. Er hielt sich zwey Tage hier auf. Am ersten waren wir mit seinem Anblick zufrieden, weil wir uns nicht träumen ließen, daß er so weitläuftige Besuche geben würde, der folgende Tag war zu einer kleinen Reise aufs Land bestimmt, die einige Herren veranstaltet hatten, uns jungen Damen in die schönsten Gegenden vom ganzen Hannöverischen Land einzuführen. Wir fuhren mit schwerem Herzen weg, und die liebe Sonne am Himmel freute uns nicht. Alles Schöne, was wir sahn, konte ihn uns nicht vergeßen machen. Da ward denn ein bischen geschwärmt, aber nicht tragisch, versteht sich. Ich machte mir unter andern weis, wir wären hieher gegangen seine Gegenwart zu feyern, wir konten uns ihm nicht so ganz nahen : daß er uns lieb gewonnen hätte, wie Werther das Pläzchen am Brunnen, wolten ihm also entfernt huldigen, wie Werther Lotten, da er sich auf die Teraße warf, die Arme nach ihrem weißen Kleid ausstreckte – und es verschwand. Wie wir Abends zu Haus kamen, war er bey Böhmers und bey uns gewesen, und unsre Väter aßen bey Schlözer, wo Göthe war. Da ging ein Wehklagen an.
Jedermann ist zufrieden mit ihm. Und alle unsre schnurgerechten Herren Profeßoren sind dahin gebracht, den Verfaßer des Werther für einen soliden hochachtungswürdigen Mann zu halten.
An Luise Gotter und Wilhelmine Bertuch
Clausthal, d. 9. Jul. [17]84
Hier siz ich in einer ländlichen Laube meines neuen Gartens, und bin ganz bey Euch, meine Besten. Die Einsamkeit von einigen Stunden, beynah die ersten seit so langer Zeit, sey Euch gewidmet. Wenn ich Euch hier bey mir hätte, und statt des langweiligen Schreibens, bey dem so unendlich viel verlohren geht, erzählen könnte! Denn wie ich Euch durch 4 solche Wochen hndurchführen werde, mit der Feder, weis ich nicht. Erspaart mir wenigstens die Geschichte meiner Empfindungen; was sie waren, könt Ihr aus dem Geschehen errathen, und wie – kan ich doch nicht beschreiben. Welch einen Taumel von Liebe, Freundschaft und Glück hab ich durchlebt, und mit welcher süßesten Wehmuth – immer die Gränze, wo Schmerz und Freude sich treffen – mit welchem Dank genoß ich ihrer.
Es wär wohl unnatürlich, wenn eine junge Frau nicht beym Hochzeitstag anfienge. Meiner war ganz schön. Böhmer frühstückte bey mir, und diese Morgenstunden waren mit der frohsten Heiterkeit bezeichnet, mit einer Ruhe, die blos aus der vollen Ueberzeugung glücklich zu machen und glücklich zu seyn entstehn konte. Keine hochzeittägliche Furcht – nur die Seelen tauschten sich um. Mein Bruder kam. Wir blieben bis 11 beysammen, und beym Abschied segnete er uns durch Thränen ein. Unter Tisch ließ ich mich friesiren, Friederike und Lotte banden indeß den Brautkranz von natürlichen Myrrthen. Dann redte ich noch mit meinem Vater und zog mich an. Während dieser Zeit schickte mir die liebe Meiners schöne selbst gestickte Strumpfbänder nebst einem Billet, verschiedne meiner Freunde schrieben mir, und zulezt bekam ich die Silhouette von Lotte Nieper und Friederike in ganzer Figur auf Glas gemahlt, beschäftigt den Brautkranz zu winden. Wie ich mit meinem Anzug fertig war, war ich eine hübsche Braut. Der Saal war durch meiner Mutter Hände zurechtgemacht. Nach 4 Uhr kam Böhmer und die Gesellschaft, die aus 38 Personen bestund. Dem Himmel sey Dank, alte Onkels und Tanten waren nicht dabey, sie war also sehr viel erträglicher, wies bey solchen Gelegenheiten zu seyn pflegt. Ich stand da von meinen Freundinnen umringt und dachte das am lebhaftesten, welch ein Zustand der meinige seyn müste, wenn ich den Mann vor mir nicht liebte. Mein Vater, der noch beyweitem nicht ganz gesund war, führte mich vor den Prediger, und in diesem Augenblick sah ich mich nun neben Böhmer auf mein ganzes Leben, und zitterte nicht! weinte nicht während der Trauung! aber wie sie vorüber war, und Böhmer mich mit aller Gewalt der stärksten Liebe umarmte, und Eltern, Schwestern, Brüder, Freunde mit Wunsch, Seegen und Liebe mich begrüßten, wie noch je eine Braut begrüßt worden, mein Bruder außer sich war vor freudiger Rührung, da schmolz mein Herz und strömte über von Seeligkeit.
Das übrige des Tags sah kaum einer Hochzeit ähnlich, so ungezwungen war alles. [...] Von meinem Glück schweig ich noch. Wer würde die Schilderung nicht auf die ersten 6 Wochen des Ehestands rechnen? Und doch glaub ich, es wird bleibend seyn, weils nicht übertrieben ist. Böhmer mus ein guter Ehemann seyn, so lang ich ihn liebe, und meine Zärtlichkeit für ihn trägt nicht das Gepräge auflodernder Empfindungen.
An Lotte Michaelis
Clausthal, 1784
Und nun Kling Ling! Mit dem Narrenkäpchen hervor! So lang ich die Glocke habe, kömt der Cavaliere Servante immer von selbst. Es ist ein närrischer Junge, dumm nicht, aber er hat so viel Sancta Simplicitas. Diesen Morgen sag ich Böhmer, ob ich wohl mit Meyers aus Osterorde nach Hannover reisen könte. Der sagt ja, es wär ihm lieb, wenn er allein seyn könt, ich sollte Friedrich mitnehmen. Marie solte ihn friesiren und waschen und kämmen. Friedrich sagt : das solte mich lieb seyn, pakt schon in Gedanken Weste, und Hosen und Tauben ein, und frägt nachher ganz ernsthaft, ob Frau Doktorin von Osterode (wo wir Sonnabend hingehn) wieder herauf kämen.
Ich für mein Theil werfe mich alle Tage mehr in Clausthal herein, ohne mich in die hiesige Form zu gießen. Misgönn doch einem ehrlichen Menschen die Lust nicht sich an 20 bis 30 albernen Menschengesichtern zu amüsiren, und laß lieber in der catholischen Kirche in der kurzen Straße eine Meße dafür lesen, daß ich das Ding von der Seite zu nehmen anfange. [...] Heut hab ich wieder visitiert, bey Vetter Schichtrupp unter andern; dessen Frau – ein gutes Vieh – wie eine leibhaftige Tellermüze aussieht. Er ist fürchterlich unwißend. Hatte mal von amerikanischen Krieg gehört, wuste [nicht], ob ihn Hänschen oder Gretchen führt. Bey Prauns, wo ich doch, wie ich die langen Buchstaben schrieb, hinging, amusirt ich mich gut. Fr. v. Reden war sehr holdseelig, sie behangen von oben bis unten wie ein fürstlich Wochenbett. bouche close! Sie ist mir gewiß nicht gut von wegen des schwarzen Gürtels, und weil ihr Mann englisch mit mir sprach.
Schick mir mit der Botenfrau Gallisch, hörst Du? Schneider wird besoldet von Böhmer. Die übrigen Theile von Möser allenfals auch und den lezten von Cecilie, oder sonst was auf dem – in der Garderobe zu lesen. Vernünftige Sachen hat mir Therese geschickt. [...] Vom übrigen nächstens ein mehrers, denn da komt Böhmer und sagt : Du darfst nicht einen Augenblick länger schreiben. Adieu Adieu, Beste. Dank Mutter tausendmal.
C.B.
An Lotte Michaelis
Sonnabend [Clausthal 1785]
Meisterin brodloser Künste – unholdiger Geist, ich beschwöre Dich, schick mir keine Uhrbänder, sondern diesmal etwas zu lesen in gothischen Buchstaben. Ich bitte Dich um Brod, und Du giebest mir einen Stein. Wie kan ich lachen? Der Spiritus verfliegt, Keine Macht
kan ihn feßeln und gefangen nehmen,
leicht wie Aether schlüpft er fort.
Du must mir andre Kost auftischen. Versteh, Du solst mir was aus dem Buchladen schicken, und künftige Woche komt der ganze Braß mit eins zurück. Bring diesen Brief ja Louisen selbst.
Ich danke Dir dennoch für Deinen gestrigen Wisch, und empfele mich und mein ungebohrnes Kindlein in höchster Eile.
An Lotte Michaelis
[Clausthal], d. 15ten Junius [1785]
als an der Jahresfeyer des Tages, der mich heut zwischen 4
Wände, bey einem geheizten Ofen, wie eine Mistbeetpflanze,
die Sonne und Luft nur durch Glas geniest, verbant.
[Übelbefinden]. Diese Nachricht ist eigentlich für Mutter, denn ich weiß, daß Dich dergleichen nicht interreßiren. Ach wie gleichgültig hört ich darüber hin, wie ich noch nie krank gewesen war. Noch hab ich seit meiner Niederkunft kein ganz gesundes Gefühl gehabt und ich fürchte nichts mehr wie das Kränkeln, weswegen ich auch alles thun werde, bald wieder hergestellt zu seyn, und wieder gut zu machen, waß ich etwa verdorben – ich muß mir nur selbst predigen, damit ich andern Leuten den Mund zubinde. Meinem guten Mann wolt ichs auch wohl wünschen, daß er eine gesunde Frau hätte. [...]
Don Carlos wird gut werden, mein ich, wenn er seine Sprache nur ein wenig vom Schwabenland reinigte. Das Übrige der Rheinischen Thalia hat mir gar nicht gefallen. Für den Kinderfreund dank ich recht sehr. [...]
Ja, heut ists ein Jahr, seit ich verheyrathet bin. Wie schnell, wie schleichend ist es dahin gegangen. Mädchen und Mutter sind sich nur um einen Glockenschlag auseinander in dieser Stunde.
Bring dies sogleich Mad. Böhmer.
Leb wohl, Liebe. Es thut mir in allen Gliedern weh, ich kan das Genicke nicht beugen, und wo ich mich anrühre, läufts weiß und roth auf. Ich wollte, daß Du schwarz würdest!
Caroline.
An Luise Gotter
Göttingen, d. 8. März [17]89
[...] Ich komme nicht zu Dir, ich darf alles, was Du mir so liebreich anbietest, Dein Haus, Deine Gesellschaft, die Freuden der Erinnrung der ersten glücklichen Jahre meiner Jugend, die eine so ganz andre Zukunft zu weißsagen schien, ich darf sie nicht annehmen, weil ich eine andre Reise zu machen habe, und welche die ist, das erräthst Du leicht. Mein Bruder bot mir sein Haus an, sobald ich meine Heymath verlohren hatte [...]. Dort kan ich nüzlicher und thätiger und freyer seyn für mich, und was mich eigentlich bestimmt, für die Erziehung meiner Kinder. Sie sind das einzige, worauf ich sicher rechnen können muß, sie sind meiner Glückseeligkeit nothwendig, und ich fühle, daß sie ein mir anvertrautes Gut sind, das ich also nie nach meinen Convenienzen behandeln darf. Erziehung ist nach meinem Begriff nicht Abrichtung, das ist ein Zweck, den ich durch Strenge allenthalben erhielte – es ist die Entwicklung der angebohrnen Anlage durch die Umstände – und diesen getraue ich mir hier, wo ich meine Kinder nicht allein habe, wo sie unter dem Einfluß des Beyspiels stehn, nicht so entgegen arbeiten zu können, daß sie würden, was ich aus ihnen machen möchte – meine Kunst, die eigentlich keine Kunst ist, sondern nur eine gewiße Unthätigkeit, welche höchstens vor bösen Gewohnheiten zu bewahren und die ersten entscheidenden Eindrücke zu lenken sucht, traut sich das nicht zu, und so will ich lieber den freyen Boden wählen, wo sie gedeihn muß, wenn Kinder ihren Eltern gleichen, als mich der Gefahr aussezen sie misglücken zu sehn. Ich könte doch auch für die Zukunft nicht ruhig daran denken, Töchter, die keinen Schuz haben wie ihre Mutter, auf einer Universität erwachsen zu sehn. Marburg ist zwar auch eine, aber es hängt ganz von mir ab, in wie fern M. es nicht seyn soll, ich erwarte überhaupt nichts von dem Ort, und es ist blos der, wo das Haus meines Bruders liegt, wo ich mehr Einsamkeit, Freyheit und Ruhe finden werde. [...] Es wird mir auch schwer von hier zu gehn, das leugne ich nicht, Göttingen ist eine Stadt, von der im Allgemeinen nicht viel tröstliches zu sagen ist, allein in keiner von so geringen Umfang wird man so viel einzelne merkwürdige gescheute Menschen antreffen, und ich konte diese einzelnen genießen, und brauchte mich an den Ton des Allgemeinen nicht zu binden, wenn ich dafür leiden wollte, was sich nach Weltlauf gebührt. Ich hatte ein bequemes Leben, ich mag aber kein bequemes Leben haben, wenn es nicht ewig dauern kan. Kurz, das Loos ist nun geworfen – zwischen Ostern und Pfingsten werde ich abreisen. Was aus unsern Wiedersehn wird, das wißen die Götter! [...]
An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
Mainz, d. 29. Juli [17]92
[...] Mir thät es auch Noth zu übersezen ums tägliche Brod – aber es ist noch nicht so weit gediehn, troz einiger Versuche. Sie glauben nicht, mit welcher Geduld ich alle solche fehlgeschlagne Plane ertrage, und fest auf die göttliche Vorsehung traue. – Alles schlägt mir fehl. – Wenn der Nebucadnezar nicht wäre, so könt ich jezt recht glücklich seyn. Sie sollen sehn, ich werde es niemals werden. Ist das nun wohl meine Schuld? Und dennoch zürnt meine milde Seele nicht mit dem Schicksaal – und trachtet nur darnach, sich auch das härteste zu versüßen. Es ist doch nicht zu läugnen, daß mir vieles fehlt – und wenn ich es tief im Herzen fühle, klag ich mich wohl am Ende darüber an. Nichts verzeih ich mir weniger als nicht froh zu seyn – auch kan der Augenblick niemaals kommen, wo ich nicht eine Freude, die sich mir darbietet, herzlich genießen sollte. Das ist mir natürlich – das wird immer meine Unruhe dämpfen, meine Wünsche zum schweigen bringen – und wenn es auch lange noch keine Gleichmüthigkeit wird, so kan ich doch nie unterliegen. Ich habe mich nun einmal so fest überzeugt, daß aller Mangel, alle Unruhe aus uns selbst entspringen – wenn Du nicht haben kanst was Du wünschest, so schaff Dir etwas anders – und wenn Du das nicht kanst, so klage nicht – nicht aus Dehmuth, aus Stolz ersticke ich alle Klage. Die Moral hab ich mir nicht der Strenge wegen erfunden, ich konte aber nie mit einer andern fertig werden. Vom Geschick hab ich nichts gefordert, und bin ihm noch nichts schuldig geworden, als was es nicht versagen konte. Laßen Sie mich davon abbrechen.
Unser väterliches Haus in Göttingen ist verkauft, und ich habe dort nun keine Heymath mehr – mags auch nicht wiedersehn. Lotte hat mir eben einen Brief voll Glückseeligkeit geschrieben – Gott gebe, daß sie dauert – ich verzweifle nicht ganz daran. Meine Mutter ist mit ihrer jüngsten Tochter auf eine Zeitlang nach Hamburg und Lüneburg gegangen – mein jüngster Bruder ist auf Reisen. [...]
Jezt sind Sie wohl mit deutscher Litteratur wieder vollkommen vertraut? Es giebt einen August Lafontaine, der deutsche Erzählungen schreibt, wie wir sie noch nicht haben – er ist Feldprediger, sagt man, und jezt in unsrer Nähe – Gott schüz ihn! – im Fall die Franzosen sich wehren, worüber man hohe Wetten eingeht. Göthens Gros-Cophta ist im Schlafe gemacht – sein Genius hat wenigstens nicht Wache dabey gehalten.
Daß der gute Herder so krank und jezt im Spaa ist, wißen Sie doch? Sie werden wohl alles wißen, da Sie alle Welt kennen. [...]
An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
M[ainz], d. 27. Oct. [17]92
Wenn Sie etwa glauben, daß man nicht mit Sicherheit hieher schreiben kan, so irren Sie sich – es sey dann, daß in Berlin ein Brief nach Mainz jezt für high treason gerechnet würde. Mir wird die Zeit lang zu wißen, wie Ihr gerechter Zorn wieder in Sanftmuth übergegangen ist. Ich hoffe, so leicht wie wir in Feindes Hand – wenn wir unsre höflichen wackren Gäste anders Feinde nennen können. – Welch ein Wechsel seit 8 Tagen – General Custine wohnt im Schloß des Churfürsten von Mainz – in seinem Prachtsaal versammelt sich der Deutsche Jacobiner-Club – die National-Cocarden wimmeln auf den Gaßen. – Die fremden Töne, die der Freiheit fluchten, stimmen vivre libre ou mourir an. Hätte ich nur Geduld zu schreiben und Sie zu lesen, so könt ich Ihnen viel erzählen. – Wir haben über 10 000 Mann in der Stadt, und es herrscht Stille und Ordnung. Die Adlichen sind alle geflohn – der Bürger wird aufs äußerste geschont – das ist Politik, aber wenn die Leute des gueux et des miserables wären, wie man sie gern dafür geben wolte – wenn nicht strenge Disciplin statt fänd – wenn nicht der stolze Geist ihrer Sache sie beseelte und sie Grosmuth lehrte, so würds unmöglich seyn, so alle Ausschweifungen, alle Insulten zu vermeiden. Die Leute sehn sehr delabrirt aus, weil sie lang im Feld lagen, aber arm sind sie nicht, und Mann und Pferd wohl genährt. Der Zustand der combinirten Armeen hingegen – Göthe, der den Ausdruck nicht zu übertreiben pflegt, schreibt seiner Mutter – keine Zunge und keine Feder kan die traurige Verfaßung der Armee schildern – und ein preusischer Offizier sagt: la situation imponsante de leurs armées, et la déplorable de la notre. – Custinens Schritte sind so berechnet – er findet nirgends Wiederstand – hat nichts zu fürchten – ne vous fiés pas à vos armées mourantes, sagte er bey bei den Unterhandlungen. Frankreich ist geräumt, Longwy und Verdun zurückgegeben – die Belagerung von Lille aufgehoben – Montesquion und Custine ohne Blutvergießen siegreich – und was mich mehr wie alles freut, die Marrats in der Nationalversammlung nach Verdienst gebrandmarkt. Ich glaube jezt dort – hier kan man sich des Spotts nicht erwehren – man macht Projekte – man haranguirt – gestikulirt nach den 4 Weltgegenden hin – will das Volk aufklären. Ein Werkzeug ist mein Schwager George Böhmer, der seine Profeßur in Worms aufgegeben hat, und so was von Secretair bey Custine ist. Mir sank das Herz, wie ich den Menschen sah – o weh – wolt und könt Ihr den brauchen? aber wen kan man nicht brauchen? Die sich bey solchen Gelegenheiten vordrängen, sind nie die besten. – Ich kan Ihnen Forsters Betragen nicht genug rühmen – noch ist er bey keinem Institute – er macht seinen bisherigen Gesinnungen Ehre, und wird vielleicht mit der Zeit den Ausschlag zu ihrem Vortheil geben. Der Mittelstand wünscht freilich das Joch abzuschütteln – dem Bürger ist nicht wohl, wenn ers nicht auf dem Nacken fühlt. Wie weit hat er noch bis zu dem Grad von Kenntniß und Selbstgefühl des geringsten sansculotte draußen im Lager. Der Erwerb stockt eine Weile, und das ist ihm alles – er regrettirt die sogenannten Herrschaften, so viel darunter sind, die in Concurs stehn und die Handwerker unbezahlt ließen. Aber nur eine Stimme ist über den Priester – er sieht gewiß sein schönes Mainz nicht wieder, wenn es auch, wies wahrlich sehr zweifelhaft ist, seine Thore dem Nachfolger öffnete. Custine bevestigt sich, und schwört den Schlüßel zu Deutschland nicht aus den Händen zu laßen, wenn ihn kein Friede zwingt. Kaum 4 Monate sinds, wie sich das Concert des puissances versammelte um Frankreichs Untergang zu beschließen hier – wo nun auf dem Comödienzettel steht: mit Erlaubniß des Bürgers Custine. [...]
An Friedrich Wilhelm Gotter
[Königstein] 16 May [1793]
[...] Die wahre Beschaffenheit der Dinge begreift Ihr alle nicht, wies scheint. Hier ist nur von willkührlichen Verfahren, von falschen Gerüchten die Rede. Geißel soll ich seyn darum : Mainzer Bürger sind als Geißeln nach Strasburg geführt – man sucht sie frey zu machen, ehe Mainz übergeht, um nicht da etwa Verbrecher entwischen laßen zu müßen. Man will die Weiber schrecken, denen man genaue Verbindungen wenn auch nicht avouirte, mit Französischen Bürgern zutraut. Mich soll Forster erlösen. Das kan F. nicht, und ich werds nie von ihm fordern – denn wir stehn nicht in diesem Verhältniß.
Nachher wird man auf Chicanen zurückkommen – das nimt Zeit weg – und indeßen schmacht ich hier, in der nahen Abhängigkeit elender Menschen, denen jede Gefälligkeit mit Geld abgekauft werden muß. – [...]
Ich hoffe dennoch jezt auf eine günstige Wendung und nahe Befreyung. Hoff ich zu viel – so ists auch gut.
Es versteht sich, daß ich in keinem Verhör fremde Dinge einmischen werde noch eingemischt habe. Glauben Sie mir, wir benehmen uns männlicher, wie unglückliche Weiber gewöhnlich thun. Meine Ideen über dies ganze Wesen sind ziemlich klar. – Könt ich nur ein zarteres Gefühl in mir betäuben, und über die Entweihung meines Nahmens hinweg gehn! Hätt ich die Rolle gespielt, die man mir schuld giebt, so würd ich vermuthlich Stirn genug haben. [...]
(Nachschrift): Lieber Gotter – sie sagen, man wolle mich auf Bedingungen frey geben, das ist also vermuthlich Caution, eine hübsche Freyheit hab ich da zu erwarten – jezt an eisernen, dann an goldnen Ketten. Noch weiß ich nichts officielles.
Expediren Sie doch die Briefe. Man muß nun in Frankreich um mein Schicksal wißen – im Moniteur steht ja, qu’on a mené, à la forteresse de K. la veuve Böh. amie du Citoyen Forster. – Das ist tröstlich, ich bin seine Freundinn, aber nicht im französischen Sinn des Worts.
An Friedrich Ludwig Wilhelm Meyer
[Lucka], 15 August 1793
[...] Göschen scheint so redlich, wie er diensteifrig ist, und sie ist gewiß ein gutes, aus Güte wirkendes Weib. Ich bin durch seine Vermittlung in einem kleinen Grabesstillen Landstädtchen 3 Meilen von Leipzig im Altenburgischen gelegen, im Hause eines ältlichen unverheyratheten kränklichen Arztes, der in dem Fache, worin ich ihn brauche, geschickt seyn soll, und mehrmals Kranke bey sich beherbergt. Göschen kante den Mann vorher nicht – er gab mich für seine Stiefschwester, Verwandte zu versöhnen, der Mann noch nicht im Stande eine Heyrath zu erklären u.s.w. Ich überließ ihm die Fabel. [...]
Für mein Kind ist gesorgt, wenn ich selbst nicht sollte sorgen können. Der Vater lebt, und verlangt es, aber wenn ich irgend vermag, so soll es mein bleiben. Ich habe nie geglaubt, daß Auguste durch das, was es ihr entziehn könte, verlieren würde – nur die Überzeugung hatte ich, daß die Schande, der Scandal sogar, der in der Lage, worin ich mich befand, eine Entdeckung begleiten mußte, dem Schicksal des achtjährigen Mädchens eine nachtheilige Wendung geben, und alles, was fern und nahe theil an mir nahm, unvergeßlich bitter kränken mußte. Darum kont ich den Gedanken faßen, den ich selbst für eben so abscheulich als nothwendig innerhalb der Mauren hielt, die mich umschloßen. Ich fühlte ganz, wie wenig Sie von mir wißen, wenn Sie mit einer harten Bemerkung eine Schwärmerey niederschlagen zu müßen glauben, die mir meinen Kopf und mein Herz verächtlich machen würden, wenn sie ihrer fähig wären. Meine Pflichten kenne ich, und ich hoffe, ich übe sie jezt in ihrem ganzen Umfang, indem ich gut zu machen trachte, was ich verbrochen habe, und weder Muth noch Geduld noch Freundlichkeit verliere. – Sie können mich verwunden, denn ich bin weicher wie gewöhnlich, und Sie hätten mir Gutes thun können, aber meine Faßung bleibt die nehmliche, wenn Sie auch den Ton gegen mich ändern. Ich müste nicht argwöhnisch, sondern blind seyn. wenn ich die Aenderung nicht bemerkte.
An Friedrich Schlegel
[Lucka, Ende August 1793]
[...] Sie fühlen, welch ein Freund mir Wilhelm war. Alles, was ich ihm jemals geben konnte, hat er mit jezt freywillig, uneigennützig, anspruchslos vergolten, durch mehr als hülfreichen Beystand. Es hat mich mit mir ausgesöhnt, daß ich ihn mein nennen konte, ohne daß eine blinde unwiederstehliche Empfinung ihn an mich gefeßelt hielt. – Sollte es zu viel seyn, einen Mann nach seinem Betragen gegen ein Weib beurtheilen zu wollen, so scheint mir doch Wilhelm in dem, was er mir war, alles umfaßt zu haben, was man männlich und zugleich kindlich, vorurtheilslos, edel und liebenswerth heißen kan. [...]
An Luise Gotter
Jena den 25ten Dec [17]96
[...] Täglich und stündlich denk ich an Euch, und wäre Weimar nicht weiter von Gotha wie von hier, so hätte ich nicht geruht, bis ich von dort aus zu Euch gekommen wäre. Sey nicht ganz sicher vor einem solchen Ueberfall. Wenn ich mir ihn selbst nur als möglich vorstelle, so ists bald geschehn. Meistens scheint es mir freylich gar nicht thunlich meine 4 Wände zu verlassen. Auch nach Weimar reißte ich nicht sowohl, als daß die Pferde mit mir davon reißten. Nachher war ich es freylich ganz zufrieden – ohngeachtet ich wieder den Cammerherrn von Einsiedel nicht kennen gelernt. Was mag das Verhängniß dabey für schlaue Absichten haben! Am ersten Abend waren wir im Schauspiel. Wir hatten gar nicht gewußt, was gegeben werden würde, zum Glück war es nichts uninterreßanters als eine Oper, die heimliche Heyrath, italiänische Musik, von Cimarosa, die ich in Braunschweig von den Italiänern und immer sehr gern gehört hatte. Mit dem aller Welts Cicerone, dem theuren Bötticher, und seiner lieben Frau, die eben so süß und so feyerlich ist, und die Augen bis zum Weißen verkehrt, die Hände faltet und schön! schön! ruft, gingen wir hin, und Mlle. Schröder saß vor mir. Ich merkte, daß sie sich bey meinem Nachbarn nach dem fremden Gesicht erkundigte, und erkundigte mich auch, mit einer Ahndung, daß sie es seyn könte. Da präsentirte man uns einander. Nun ging ich am 2ten Morgen drauf um 11 Uhr zu ihr, nachdem ich es ihr früh wißen laßen. [...] Abends um 5, wie wir von Göthe zurückkamen und gleich wegfahren wollten, ließ sich Einsiedel ansagen und war vielleicht schon unterwegs, aber wir auch unterwegs in den Wagen, und das ist nun die traurige Geschichte, wie sich Menschen verfehlen! [...] Frau von Kalb habe ich auch gesehn, aber Ihr mögt sagen was Ihr wollt, sie kan am jüngsten Gericht als eine ächte Adliche bestehn, und wird so erfunden werden. Über Mangel an Artigkeit hab ich gar nicht zu klagen – allein ihr Geist – und Geist hat sie – ist doch in eine etwas schiefe verrenkte Form gegoßen. – Wer mich entzückt und fast verliebt gemacht hat, das ist Herder. Wir hatten einen Thee dort, zu welchem Wieland beschieden worden war, den ich in einer außerordentlich guten Laune gesehn haben soll, und es ist wahr, er sagte lustige Sachen, unter andern schimpfte er gegen die Schweine, deren Schöpfung er dem lieben Gott nie verzeihn könte – und die er in dem höchsten Anfall von Unwillen darüber Antigrazien nannte – dann über die Xenien – und über Fr. von Berlepsch, Genlis, Staal usw. Aber von mir hat er nachher gutes gesagt, ob er gleich einen argen Schnupfen von dem Abend gekriegt hatte. Er hätte auch den Hals brechen können, weil es just so glatt wurde, als sich »die ältesten Menschen« (ists nicht so der rechte Styl?) nicht errinren konten. Madam Herder habe ich mir kleiner, sanfter, weiblicher gedacht. Aber für die fehlgeschlagne Erwartung hat mich der Mann belohnt. [...] Den Mittag drauf waren wir bey Göthe, und Herder auch, wo ich bey ihm und Knebeln saß, allein ich hatte den Kopf immer nur nach Einer Seite. Göthe gab ein allerliebstes Diner, sehr nett, ohne Überladung, legte alles selbst vor, und so gewandt, daß er immer dazwischen noch Zeit fand, uns irgend ein schönes Bild mit Worten hinzustellen [...].
An Luise Gotter
Jena, d. 24. Aprill [17]99
[...] Wir haben in Weimar endlich den Wallenstein ums Leben gebracht – und wollen hoffen, daß er dadurch die Unsterblichkeit erlangt. Die Schönheit und Kraft der einzelnen Theile fällt am meisten auf. Wenn man es nach einem einzigen Sehen beurtheilen dürfte, so würd ich sagen, das Ganze hat sehr an Effeckt durch die Länge verlohren. Es hätte nur Ein Stück seyn müssen, dann hätten sich die Szenen konzentrirt auf Einen Brennpunkt, die sich jetzt langsam folgen, und dem Zuschauer Zeit zu kühler Besonnenheit lassen. Der lezte Akt thut keine Wirkung – man merkt den Fall des Helden kaum, an dessen Größe 11 Akte hindurch gebauet werden, um eine große Erschütterung durch seinen Sturz hervorzubringen. Und die mannigfache Absicht, die Berechnungen, welche hindurchschimmern! Es ist eben ein Werk der Kunst allein, ohne Instinkt. Ich kann Dir nicht sagen, wie dagegen das Ende Shakespscher Trauerspiele, auch seiner politischen, das Herz erfüllen und bewegen. [...]
An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
[Braunschweig] Dienstag früh [Oktober 1800]
Ich habe den Himmel recht gebeten mich zu erleuchten und mir gute Gedanken zu verleihn, ehe diese Post abginge, und er hat mich auch erhört. Wenn ich Dir wollte oder vielmehr vermöchte alles hinzuschreiben, was in mir vorgegangen ist, es würde so tief und so wehevoll werden wie Deine Blätter, aber ich muß mich schonen und gebe Dir nur den Frieden von Gott, in dem sich mein Herz aufgelöset hat, voll fester Hofnung, daß ich ihn Dir auch mittheilen werde. Ich habe Dich innig lieb, ich küsse Deine Stirn, Deine beyden lieben Augen und den süßen Mund. Das ist recht das selige Zeichen des Kreuzes. [...]
Sey nur nie besorgt, was Deine Briefe betrift; ich bekomme sie aus der Hand des Briefträgers immer zu eignen Handen, beantworte sie aber nur manchmal so überzwerch, wie Friedrichs Philosopheme sind. Ich muß doch auch probiren,
Tod Wonne
ob ich nicht aus X Leben und Frieden
Schmerz Liebe
herausbringen kann. Woher mir die Ursätze kommen, darum wirst Du mich wohl nicht so scharf befragen. Es ist doch arg, wenn man etwas gewiß hat, und soll nun auch Rechenschaft geben, woher man es nimmt.
An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
[Braunschweig] Sonnabend früh den 20. Dez. 1800
Anbey kommt ein großer ächt englischer Überrock, der meinen Freund wärmen soll. Ein Weihnachtsgeschenk soll es nicht seyn. Er war Dir schon lange bestimmt und besonders für das große Carneval berechnet, aber ich habe ihn nicht eher von Hamburg bekommen. Wenn Dir nur halb so wohl darin ist als warm, so soll es mich freuen. Ich habe ihm befohlen, er soll sich recht um Dich herum schmiegen. Die erstemale wird er einige Haare lassen, und es wird an Deinen Röcken viel auszubürsten seyn, das giebt sich aber. Sonst ist er unendlich bequem, und man hat doch die Arme darin frey um eine Freundin zu umarmen. Der blaue Mantel wickelte Dich ein wie den Grafen Egmont. O daß ich Dein Clärchen seyn könnte, aber ich bin nur Deine Caroline.
An Julie Gotter
[Jena], d. 18. Februar [18]o3
[...] Es ist endlich auch nöthig, daß ich Rechenschaft von mir gebe. Im May oder Junius verlasse ich Jena auf lange Zeit und gehe erstlich in ein Bad in Schwaben, dann aber im Herbst nach Italien, und der Winter wird in Rom zugebracht, so Gott will. Um aber hierzu völlige Freyheit zu haben und auch niemand in seiner Freyheit hinderlich zu seyn, wird vorher, oder ist vielmehr schon, das Band der Ehe zwischen Schlegel und mir aufgehoben – das einer herzlichen Freundschaft und Achtung wird hoffentlich immer bestehen. – Ich zweifle nicht, daß Dir dieses in diesem Augenblick keine Neuigkeit mehr ist.
An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
[Würzburg] 21 Aprill [1806]
Muß ich Dir denn nun wirklich schreiben? Ich will es nur bald thun, damit ich in die Gewohnheit komme. So lange ich Dich noch unterwegens weiß, noch dieser scharfen Luft ausgesetzt, habe ich keine Ruhe für meinen Freund, den billig kein Lüftchen anwehen sollte. [...]
Ich hatte einen schlimmen Tag gestern, einen meiner heftigen Kopfwehtage, wodurch denn alle schöne Plane auszugehn und mich in der Welt umzuthun verwickelt wurden, jedoch mein contemplativer Geist nicht ganz gebeugt. Die beyden ersten Tage Deiner Abwesenheit über hatte ich mich verkältet, theils weil mir die liebe Wärme der Gegenwart entzogen war, theils weil ich mir viel im Hause zu schaffen machte. [...] Lebe wohl, mein Herz, meine Seele, mein Geist, ja auch mein Wille. Ich habe Dein Bild zu mir genommen und spreche mit ihm.
An Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
[Würzburg, 25. Aprill [1806]
Du bist am Sontag früh um 4 Uhr von Ansbach weggefahren, warst also schon am Montag Abend in guter Herberge, aber allein und bey so rauhem Wetter, das noch immer nicht milder werden will, das auch mich seine ganze Härte fühlen läßt, denn woher käme es sonst, daß ich gar nicht gesund werden kann? Ich betrübe mich nicht, ich habe keine Langeweile, kann aber weder essen noch schlafen und das eintägige Kopfweh hat sich in ein vieltägiges verwandelt [...]. Heute ist es viel besser jedoch, heute begrüsse ich meinen Schelling mit klaren Augen. Wenn ich nur wüßte, wie es ihm geht! Aber kann es Dir übel gehn? Ich verbiete mir alles Vorstellen darüber, des ersten Briefes harrend. [...]
(NB. Du hast nur 11 Manschettenhemden bey Dir, eins blieb zurück, was ich nur melde, damit Deine Genauigkeit nicht fürchtet, es verlohren zu haben.)
Du liebster Freund – wenn ich nur erst weiß, daß es Dir gut geht, so will ich, auch einsam, frölich essen, trinken und schlafen. Das allein essen ist das schlimmste für mich – il vaut encore mieux d’être seule à minuit qu’à midi. Es wäre thöricht, wenn ich Dir erzählen wollte, wie ich Dich in Gedanken liebkose. Du weißt es wohl.
Notiz-Zettel (1807)
Endesunterzeichnete hat versprochen für 100 fl. (hundert Gulden) nicht nur alles abgeschrieben zu haben, was sie abgeschrieben hat bis zum heutigen Datum, sondern dafür auch abzuschreiben, was sie abschreiben wird [ihr abzuschreiben aufgetragen wird], bis zum 31 Mai 1807, von solcherlei Manuscript, welches ihr Gemahl [selbst verfaßt und] in den Druck giebt [oder zu eigenen Gebrauch aufbewahrt].
Habe hierauf erhalten 50 fl.
Caroline.
Unter obigen eingefügten Clauseln
Ratifié par Moi Souverain de ma Femme
Frederic.
An Meta Liebeskind
[Maulbronn] 28. Aug. [1809]
Aus klösterlichen Mauern schreibe ich Ihnen – wir sind kaum 10 Tage abwesend von der Hauptstadt und schon in selige Unwissenheit begraben. [...] Gutes Wetter hatten wir übrigens, außer daß wir in Ulm mit einem heftigen Ungewitter eintrafen – und leider, seit wir hier in Maulbronn sind, regnet es viel, was uns um so hinderlicher fällt, da Maulbronn mehr ein Platz ist, von dem man leichter an eine Menge von reizenden Orten, Aussichten und Gegenden gelangen kann, als daß er selbst eben schön wäre. Wir werden das Land rings umher zu Fuß und zu Roß durchstreifen, sobald sich das Wetter heitrer zeigt. [...]
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling an Luise Gotter
Stuttgart, d. 24. Sept. 1809
Sie wissen es nun bereits, verehrteste Freundin der ewig theuren Caroline, daß die beste, die geliebteste Frau für dieses Leben nicht mehr ist. Ihnen als ihrer treuesten Freundin hätte diese betrübte Nachricht billig nicht zuerst durch Fremde zukommen sollen; aber der unsägliche Schmerz erlaubte mir kaum den Einen nöthigsten Brief an den Bruder in Haarburg zu schreiben : noch immer fehlt mir die nöthige Fassung, und ich weiß nicht, wie ich im Stande sein werde, Ihnen auch nur die Hauptumstände zu melden. Doch ist der Gedanke, an Sie zu schreiben, tröstend für mich. Ich weiß, auch Ihre Thränen fließen bei dem schmerzlich-süßen Andenken, wie die Ihrer lieben Töchter. Auch Sie alle haben eine Freundin an ihr verloren, wie es keine oder wenige giebt – und Sie begreifen meinen Schmerz, Sie können ahnden, wie viel ich verloren habe. –
Caroline wünschte mit wahrer Sehnsucht die Reise nach dem Würtembergi- schen; sie bedurfte der Erholung : zwei Monate hatte sie meiner gewartet, da ich fast seit dem Frühling krank war. Die sonstige Ordnung hatte sich verkehrt : immer besorgt für ihre Gesundheit wurde ich nun der Gegenstand ihrer Sorgen – ach die viele Mühe, die ihr meine Wartung verursachte, hat ohne Zweifel die Schwäche vorbereitet, die der Krankheit nachher so schnelle Wirkung verstattete. Wir verließen München am 18. August, sie fröhlich, heiter, wie immer auf der Reise, ohne Anstoß in ihrer Gesundheit; wir eilten über hier nach Maulbronn, einem würtembergischen Kloster, dem Aufenthaltsort meiner guten Eltern [...].
Mich hat auf der ganzen Reise ein drückend schmerzliches Gefühl begleitet, das ich mir nicht zu erklären wußte, wie ich den ganzen Sommer mehr gemüths- als körperlich krank gewesen war : ihr Tod hat eine schreckliche Klarheit auf dieses wunderbare Gefühl geworfen. Sie schien wenigstens keine bewußte Ahndung zu haben : das Einzige, was alle meine Verwandte bemerkten bemerkten, war, daß sie diesmal so ganz besonders liebevoll und zärtlich gegen alle war, recht als ob sie noch mit ihnen abletzen wollte [...]. Auf einer kleinen Nebenreise von Maulbronn aus – in einer der schönsten Gegenden dieses Landes – die auch ihr Wunsch war, die aber – ach! ich bin es nur zu gewiß – mit zur Erschöpfung ihrer Kräfte beitrug, so sehr sie sonst durch Bewegung und Reisen gestärkt wurde – auf dieser ganzen Reise war sie auf eine wunderbare Art still und in sich gekehrt, wenn gleich bei dem äußeren Ausdruck der völligsten inneren Heiterkeit. Hundertmal trieb es mich, sie zu fragen, warum sie so still sei, und immer wurde ich durch die Gesellschaft daran verhindert. Ich sehnte mich innig, mit ihr wieder allein zu Hause zu sein : aber wenige Stunden nach der Rückkehr zeigten sich auch die ersten Anfälle der Krankheit.
In der Gegend von Maulbronn hatte schon seit einem Monat eine epidemische Ruhr mit Nervenfieber grassirt : nur Maulbronn war bis zu unserer Ankunft noch immer verschont geblieben. Erst am zweiten Tag unsres Daseins wurde die Frau eines dortigen Professors Pauli davon ergriffen. [...] Bei der Rückkehr von jener Reise war ihre [Carolines] erste Frage : was die gute Professorin Pauli machte [...]. Die Antwort war : sie sei gestern gestorben! – Einige Stunden nachher kamen die ersten Anfälle mit einigen schnell auf einander folgenden Ausleerungen : Caroline scherzte noch selbst darüber und fürchtete nichts; auch wurden durch die Anwendung der gewöhnlichen Hausmittel die Anfälle vor der Hand zurückgehalten; aber spät am Abend stellten sich Schmerzen und Fieber ein und schon am andern Morgen, da ich frühe vor ihr Bette trat, sagte sie zu mir die Worte : »Ich fühle die Destruction solche schnelle Fortschritte machen, daß ich glaube, ich könnte diesmal – sterben!« Ach, sie hatte nur zu wahr geredet! – Schon der erste Anblick, die auffallende Veränderung ihres Gesichts zeigte die Heftigkeit der Krankheit : ihr Puls setzte mich in den äußersten Schrecken. Ich redete ihr den Gedanken aus, ob ich gleich meine Bestürzung nicht ganz verbergen konnte. Alles zeigte, daß sie von der unseligen Krankheit ergriffen sei. Von diesem Augenblick an wurde alles aufgeboten sie zu retten. Ich übergab sie dem Maulbronner Arzt, einem allgemein für geschickt gehaltenen Mann, der eine Menge Kranker in der ganzen Gegend an der nämlichen Epidemie behandelt hatte. Ein Expresser ging nach Stuttgart, meinen Bruder zu rufen, der hier als praktischer Arzt in besondrem Ansehen steht und zu dem auch Caroline das größte Zutrauen hatte. Aber leider kam er zu spät, da keine Hülfe mehr war. – Lassen Sie mich diese Tage des Schmerzes und schrecklichsten Furcht übergehen! Die einzige wenn gleich schwache Beruhigung ist, daß Caroline jede Art von Hülfe und Wartung genossen hat, die sie bedurfte. [...] Ihre letzten Tage waren ruhig : sie hatte kein Gefühl von der Gewalt der Krankheit noch der Annäherung des Todes. Sie ist gestorben, wie sie sich immer gewünscht hatte. [...] Sie entschlief am Morgen des 7. September sanft und ohne Kampf : auch im Tode verließ sie die Anmuth nicht; als sie todt war, lag sie mit der lieblichsten Wendung des Hauptes, mit dem Ausdruck der Heiterkeit und des herrlichsten Friedens auf dem Gesicht. – -
Lebensdaten
1763: 2. September: Dorothea Caroline Michaelis in Göttingen als Tochter des Göttinger Orientalistik-Professor Johann David Michaelis geboren.
1784: 15. Juni: Heirat mit Johann Böhmer, Stadt-Medikus in Clausthal
1785: 28. April: Geburt der Tochter Auguste
1787: 23. April: Geburt der Tochter Therese
1787: 4. Februar: Tod Johann Böhmers
20. Juli: Geburt des Sohnes Wilhelm, der kurz darauf stirbt
Rückkehr nach Göttingen
1789: Sommer: Umzug nach Marburg ins Haus des Bruders Fritz Michaelis
1. Dezember: Tod der Tochter Therese
1792: Februar: Umzug nach Mainz. Verkehr mit der Familie Georg Forsters
1793: 30. März: Weggang aus Mainz. Verhaftung und Internierung auf der Festung Königstein. Entdeckung ihrer Schwangerschaft.
11. Juli: Freilassung. Mit August Wilhelm Schlegel nach Leipzig zu Göschen. Unterkommen in Lucka.
3. November: Geburt des Sohnes Wilhelm.
1794: Februar: Aufenthalt bei der Familie Gotter in Gotha. Danach: Braunschweig.
1795 20. April: Tod des Sohnes Wilhelm
1796: 1. Juli: Heirat mit August Wilhelm Schlegel
8. Juli: Wohnung in Jena
1799: Kreis der Jenaer Frühromantiker um Caroline versammelt. (Für Schiller ist sie: »Madame Lucifer«). Beziehung zu Schelling.
1800: 12 Juli: Tod der Tochter Auguste
1803: 17. Mai: Scheidung von August Wilhelm Schlegel
26 Mai: Heirat mit Schelling.
November: Umzug nach Würzburg
1806: Umzug nach München
1809: 18. August: Reise nach Maulbronn
Anfang September: dreitägige Fußwanderung in der Umgebung. Erkrankung an der Ruhr.
7. September: Tod Carolines.
9. September: Beisetzung in Maulbronn
Quelle
Sigrid Damm, Caroline Schlegel-Schelling. Ein Lebensbild in Briefen. Ffm und Leipzig : Insel, 2009
Reinhard Buchwald (Hrsg.), Carolinens Leben in ihren Briefen. Eingeleitet von Ricarda Huch. Leipzig : Insel, 1914