Ode an einen gewissen Luftreiniger

Autor

Autorenportrait: Johann Heinrich Voß

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Sepiazeichnung von Joseph Nicolaus Peroux

 

- 1780 -
(als der Dichter Rektor zu Otterndorf war)

An den Wind

Großmächtigster und Gnädigster!
    Patronus der Gelehrten,
Die gleich dir, Lüftereiniger,
    Viel blauen Dunst verstörten:
Neig', edler Wind, dein hohes Ohr
Aus deiner Felsengrott' hervor
    Und horche dem Geklimper
    Von einem armen Stümper!

Zur Elbe rauscht,  von Eis befreit,
    Die torfgefärbte Mäme,
Und in die lockern Beete streut
    Der Gärtner sein Gesäme:
Doch dicker fauler Nebelduft
Vergiftet uns die Frühlingsluft,
    Und hängt in blanken Perlen
    An meines Ufers Erlen.

Vergebens trink' ich Bergster Bier,
    Und schmauche Judenknaster.
Die Wettergrillen tödtet hier
    Kein Pulver, Trank noch Pflaster.
Mit kläglicher Geberde steht
Die Windmühl, weil kein Lüftchen weht;
    Und, mit Erlaub zu sagen,
    Die Schweine selbst wehklagen.

Und ach! bei solchem Weg karjolt
    Kein Fuhrmann aus dem Orte,
Der uns ein wenig Wasser holt,
    Für Geld und gute Worte!
Die eine Regentonne lechzt,
Die andre stinkt; und alles ächzt:
    Wir müssen noch verdursten,
    In Hadeln und in Wursten!

Jag', edler Wind, den trägen Duft
    Als Regen in die Tonne,
Und schaff' uns wieder frische Luft,
    Und helle Frühlingssonne;
Daß bald Frau Rektorn ihren Mann
Mit Thee und Kaffe laben kann,
    Und nicht so düstre Falten
    Auf seiner Stirne schalten!

Nur bitt' ich höflichst, nicht zu barsch,
    Noch aus Nordwest zu stürmen;
Damit die Elbdeich' unsre Marsch
    Vor Überschwemmung schirmen.
Auch unser krummer Kirchenthurm,
Mein Nachbar, hat nicht gerne Sturm;
    Sonst fällt das alte Übel
    Noch gar auf meinen Giebel.

Demütig werd' ich dir zum Lohn
    Einst eine tadellose
Magisterdisputation
    Von deiner Wasserhose,
In ächtholländischem Latein,
Und voll gelehrter Noten, weihn,
    Mit Goldpapier sie schmücken,
    Und nach Greifswalde schicken.

 

Anmerkungen

 

Johann Heinrich Voß gehörte während seiner Studienzeit in Göttingen zu den Gründern des Göttinger »Hainbundes«. 1778 wurde er Rektor zu Otterndorf im Lande Hadeln, wo er - der Erzdemokrat und Aufklärer - vor allem an seiner bis heute klassischen Homer-Übersetzung arbeitete. Seine Schüler schätzten ihn sehr, und mit den Leuten kam Voss gut zurecht, weniger allerdings mit dem Klima der Hadeler Marschen, so daß er 1782 lieber auf die Rektoren-Stelle in Eutin wechselte. Sein lyrisches Gesuch an den windigen Lüftereiniger scheint also leider keinen Erfolg gezeigt zu haben (aber ein schönes Gedicht ist es trotzdem, und daß er den Kaffee mit nur einem »e« schreibt, ist kein Druckfehler, sondern O-Ton Nord!).

 

Quelle

 

Johann Heinrich Voß, Sämtliche Gedichte. Auswahl der letzten Hand., Leipzig : Immanuel Müller, 1833. Bd. 4, Vermischte Gedichte, S. 116 ff.