Drei Einladungen in die Marsch

Autor

Autorenportrait: Hermann Allmers

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Hermann Allmers 1895 im Kreis der Worpsweder Maler Fritz Overbeck, Otto Modersohn, Carl Vinnen, Heinrich Vogeler und Fritz Mackensen (v. li., im Uhrzeigersinn)

 

- 1860 -

Aus: »Dichtungen«

Nordwesterlied

(zum Grünkohl-Essen zu singen)

Wenn Feld und Wald und Wiese weiß
Von Rauhreif ist und Schnee und Eis,
Ist doch dem heimatlichen Norden
Ein köstliches Geschenk geworden.
Denn freundlich grüßt und hold und traut
Ein liebes wohlbekanntes Kraut
Und lacht uns an wie Frühlingsklee
Hervor aus Reif und Eis und Schnee.
Wer preist nicht unsern braunen Kohl,
Den lieben, leckern Heimatsegen.
Heut strömt sein Duft uns hold entgegen,
Des teuren Heimatlands Symbol.
Wem lacht das Herz nicht vor Vergnügen!
Nordwester auf! Greift zu den Krügen,
Setzt an und trinkt in vollen Zügen.
Hoch unsre Heimat und ihr Wohl!

Die Stoteler Grafenburg

(angelegt zum Schutz gegen die Normannen)

Dort wo mit moorgebräunter Flut
Die Lune zieht durch Marschenauen,
War einst der lieben Heimat Hut,
Die Stotler Grafenburg zu schauen.  
Wo jenen Hügel, klein und grün,
Umfängt des Flüßchens schmales Bette,
Dran alte Weißdornbüsche blüh'n,
Schaut hin! - Das ist geweihte Stätte! -

Einladung in die Marsch

Kommt, Freunde! flieht der Stadt Gewühl,
Kommt in mein stilles Marschenland,
Hier weht die Luft so frisch und kühl
An meines Stromes grünem Strand;
Zwar schaut ihr nicht Gebirg und Wald,
Nicht Felsgetürm und Wasserfall,
Doch freundlich ist der Aufenthalt
Auf unsres alten Deiches Wall.
Von oben schaut ihr dort die Flut
Und dort ins weite Land hinein,
Und schön ist's, wenn die Ebne ruht
In goldnem Sommersonnenschein,
Und sich das üpp'ge Weideland
Voll bunter Rinderherden dehnt,
Mit seines Moores dunklem Rand
An heidebrauner Höh' gelehnt;
Wenn feierlich vom Kirchlein her
Des Sonntags Glockenläuten klingt,
Und hoch aus blauem Aethermeer
Des Frühlings Lerchenjubel dringt;
Wenn ruhig breit und glanzerhellt
Der Strom die Ufer stolz durchzieht,
Wo rechts und links ein üppig Feld
Von Rohr bedeckt sein Strandgebiet;
Wenn segelvolle Schiffe ziehn
Hell leuchtend fern im Sonnenschein;
Wenn munter jagend der Delphin
Dort auf und nieder taucht in Reih'n;
Wenn's wonnig flüstert leis im Rohr,
Das seine hohen Halme neigt;
Wenn silberglänzend d'raus hervor
Die weiche graue Weide steigt -
Ja, Ihr vergeßt Gebirg und Wald
Und Felsgetürm und Wasserfall,
So freundlich ist der Aufenthalt
Auf unsres alten Deiches Wall.

 

Anmerkungen

 

Daß einmal ein Lied auf den Grünkohl gesungen werden mußte, die Oldenburger Palme, unseres »Heimatlands Symbol«, war schlicht notwendig; doch auch die bescheidene Lune, der unauffälligste der Wesermarsch-Flüsse, hat es verdient, einmal poetisch gewürdigt zu werden - und für all das zuständig war Hermann Allmers, der Dichtersmann aus Rechtenfleth.

Mehr von Allmers: siehe unter »Friesland« und »Oldenburg«.

 

Quelle

 

Hermann Allmers, Dichtungen, Oldenburg u. Leipzig : Schulze, 5. Aufl., o.J. [1891], S. 250, S. 242, S. 6