Anrüchige Begegnung mit der Welfenmetropole
- 1880 -
Brief an seine Frau Emilie Fontane
Hannover, d. 26. Juli 1880, »Kastens Hotel«
[...] Hannover macht einen vornehmen Eindruck, ist aber doch sonderbar; in mancher Beziehung wie München: Groß, weit, leer, forcierte Gotik (die mir doch nicht recht scheinen will); überhaupt etwas Raufgepufftes, wie jemand, der sich über seine Kräfte anstrengt und dem die Puste ausgeht.
Die Nacht verbrachte ich anfangs sehr trübselig. Es herrschte in meinem Zimmer ein penetrant ammoniakalischer Geruch, vor dem ich nicht einschlafen konnte und wenn ich schlief, gleich wieder aufwachte. Endlich entdeckt ich's; es war vergessen worden, »auszugießen«; dem Bodensatz nach zu schließen wohl seit drei Tagen schon. Que faire? Ich schritt zu einem Verdünnungsprozeß. Aber es wurde nur schlimmer; »don't touch it« ist die Devise solcher Beaureste. So mußte ich denn auf irgendeine Weise das ausführen, was das Dienstmädchen vergessen hatte, und geräuschlos Fenster und Jalousien öffnend und den Vorbeimarsch einer Patrouille abwartend, schoß ich alles in goldnem Bogen (der Mond schien) bis mitten auf den Damm. Nachspülen, denn ich traute dem Frieden nicht und noch weniger dem Bodensatz, und nun wusch ich mich und legte mich beruhigt nieder. Das war meine »Joyeuse entrée« in die Welfenhauptstadt, von der ich mir »als Christ, als König und als Welf« einen reinlichen poetischen Eindruck versprochen hatte. Das alte Lied. Zärtliche Brautpaare haben an ihrem Hochzeitstage, trotzdem Schiller sagt: »Und der Brautnacht hohe Freuden, die die Götter selbst beneiden«, in der Regel einen kolossalen Schnupfen. In den schwereren Fällen Kolik.
Anmerkungen
Schon zwei Jahre zuvor hatte Theodor Fontane in seiner Novelle »Schach von Wuthenow« den »Hannoveranern« recht übel mitgespielt. Zwar war ihnen dort attestiert worden, sie seien »feine Leute«, wenn auch »vielleicht etwas hochmütig«, doch es war ebenfalls der Satz gefallen, Hannover sei »der Sitz der Stagnation, eine Brutstätte der Vorurteile«. Tja, und nun posaunte Fontane die Erfahrung hinaus, daß Hannover auch noch ein ziemlich anrüchiger Ort sein kann.
Quelle
Theodor Fontane, Von dreißig bis achtzig. Sein Leben in seinen Briefen (Hrsg. Hans-Heinrich Reuter), Leipzig : Dieterich, 1959, S. 260f