Jürgen von der Wense

Jürgen von der Wense

* 10.11.1894 Ortelsburg/Ostpreußen, heute Szczytno
† 09.11.1966 in Göttingen

Vita

Schriftsteller, Übersetzer, Komponist, Fotograf und Künstler.

Hans Jürgen von der Wense wird am 10. November 1894 in Ortelsburg, Ostpreußen, geboren. Väterlicherseits entstammt er dem niedersächsischen Adelsgeschlecht der von der Wense. 1914 legt Wense sein Abitur im norddeutschen Doberan ab, dann führt ihn sein Weg nach Berlin. Er arbeitet zunächst auf dem Flughafen Johannisthal, beginnt dann an der Universität Maschinenbau, Nationalökonomie, Philosophie, Meteorologie und Astrologie zu studieren, bricht aber jeweils baldigst ab. In Berlin kommt Wense auch in Kontakt mit dem literarischen Expressionismus: In vier Heften der Zeitschrift Die Aktion ist er mit Texten vertreten. Dennoch ist es die Musik, die für ihn in den nächsten Jahren bestimmend wird. Bruckner und Mahler, daneben Skrjabin und Alcan, aber auch Schöneberg werden die wichtigsten Stütz- und Orientierungspunkte Wenses. In seinen Berliner Jahren macht er sich einen gewissen Namen als Komponist. Seine Musik wird von Heinz Stuckenschmidt, Großpropagator der Neuen Musik, als „eigenwilligste, expressivste und neueste aller Zeitgenossen“ bejubelt.

Doch bereits 1920 zieht sich Wense nach Warnemünde zurück, um hier, fernab aller großstädtischen Betriebsamkeit, ethnologische Arbeiten anzufertigen, sich erstmals an Übersetzungen zu versuchen, an einer Weltgeschichte des Wetters zu schreiben und an einem Erdbebenkatalog. 1929 bricht er von Warnemünde auf, um bis ca. 1942 ohne festen Wohnsitz durch die Gegend zu streifen, die für ihn von den Polen Göttingen – Eschwege – Kassel – Paderborn umgrenzt sind, manchmal in Wanderungen von bis zu 40 Kilometern pro Tag. Er sammelt Notizen zur Historie einzelner Orte, Gehöfte, Weiler und Bergketten und versucht die Vielfalt der „deliranten Weltphantasie“ deutend und enträtselnd nachzuschreiben.

1942 lässt Wense sich in Göttingen nieder. Noch im selben Jahr wird er zum Arbeitsdienst eingezogen und arbeitet bis Kriegsende in einer Fabrik zur Herstellung von Radiosonden. Was der biografischen Wense-Forschung über diese Jahre gesichert ist, sind Wenses fulminante, briefliche Pöbeleien gegen das Nazi-Regime, als er 1934 aufgefordert wird, in den Schriftstellerverband einzutreten. Auch nach dem Ende des Krieges bleibt Wense in Göttingen. Als er am 09. November 1966 72-jährig ebenda stirbt, ist er der literarischen oder sonstwie kunstinteressierten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Von den Aussteiger*innen und Rebellierenden der Literatur, von denen, die sich vom bildungsbürgerlichen Anspruch an das, was Kunst zu sein habe, nicht haben korrumpieren lassen, war Wense einer der radikalsten. Als leidenschaftlicher Wanderer legte er mehr als 40.000 Kilometer zu Fuß zurück. Er hinterlässt 60.000 Nachlassseiten, 40 Tagebücher, 258 Messtischblätter, 40 Kompositionen, 3000 Fotos; 3000 von 6000 Briefen. Wenses Nachlass liegt in der Universitätsbibliothek Kassel, wo auch das Wense-Forum seinen Sitz hat. Sein Grab befindet sich in Diemarden.