Osnabrück - der Länge und Breite nach

- 1772 -

Erster Teil:

Professor Lichtenbergs Kreuzfahrt von Hannover nach Osnabrück

Brief an Joel Paul Kaltenhofer
Osnabrück, den 20ten September 1772


[...] Ich befinde mich, dem Himmel sei Dank, sehr wohl. Aber wenn Sie auch meine Geschichten hören sollten, was ich herum gekreuzt bin. Von montags 3 Uhr des Nachmittags bis den Freitag um 11 des Nachts war ich von Hannover bis Osnabrück unterwegs, und doch schämen sich beinah die Posthalter, die sich sonst selten schämen, sich den ganzen Weg für 15 Meilen bezahlen zu lassen, da es eigentlich nur 14 sind. Aber den graden Weg bin ich auch nicht gegangen, und sehr um auch nicht, ungefähr so als wenn ich zu Göttingen, um von meinem Haus nach dem Ihrigen zu kommen, den Weg an Horns Hause vorbei nähme. Ich habe das Steinhuder Meer besehen auf welchem der Graf von Bückeburg eine Festung zugleich mit der Insul oder dem Insulchen, auf welchem die Festung liegt, angelegt hat. Von da reiste ich nach dem Rehburger Brunnen und sprach Herrn Oeder und seine armsehliche Frau, von Rehburg reiste ich nach Stadthagen, dem Ort wo Büsching geboren ist, der aber noch merkwürdiger ist durch das Begräbnis der Grafen von Bückeburg, über welchem ein Mausoleum steht, das der Abtei von Westmünster in London Ehre machen könnte, es ist das schönste Stück, das Ich (der Professor Lichtenberg) in dieser Art gesehen habe, von da ging ich nach Bückeburg, meinen alten Herrn Westfeld und Herrn Herder zu besuchen, da wurde mir so viel Ehre angetan, daß ich nicht wußte wo mir der Kopf stund; ich besah das Schloß mit seinen vielen Gemälden, wo Sachen von Guido neben andern Stücken hängen, von denen man glauben sollte, Dankmar zu Göttingen hätte sie gepinselt. Nachdem ich die erste Ehre in Herrn Westfelds Brautbett, doch ohne die Braut, ausgeschlafen hatte, empfing ich eine zweite, mit dieser stieg ich in den Wagen und fuhr nach dem berühmten Minden, welches preußisch ist, wie man gleich erfährt, so wie man an das Tor kommt. Du lieber Himmel, was ist doch für ein Unterschied zwischen Hannoveranern und Preußen auch in diesen Gegenden, und doch könnte man fast aus dem Hannöverischen in das Preußische schießen, mit allem Respekt von des Grafen von Bückeburgs Staaten, über die die Kugel ohne niederzufallen wegmüßte, gesprochen. Während als der Passagier in Hannover oder in Göttingen examiniert wird, stehn die übrigen Kartuffelnbälge und schlagen die Augen kaum auf, und wenn der Ali Bei in der Kutsche säße. Hier kam die halbe Wache heraus, die Ärme hoch eingesteckt, mit einer Gesichtsfarbe, der man die 18 Pfennige nicht ansah durch die sie der Kerl des Tags frisch erhalten muß. Sie machten nach der Reihe Anmerkungen über unsern Kutscher und lachten so laut, daß auch die andre Hälfte der Wache heraus kam. Dieser saß freilich etwas drolligt da. Wenn ich meine Zeichenstunde bei Ihnen fortgesetzt hätte, so wollte ich ihn ganz malen [...].  

In Minden, weil ich nun schon viel Zeit verloren hatte, stieg ich nicht ab, setzte auch nichts ab, selbst da nicht, wo mich der Akzisbediente nicht versiegeln konnte, sondern ich eilte vielmehr nach dem Schlachtfeld. Ohngeachtet man, glaube ich, in der Welt wenige Plätze (in zivilisierten ordentlich bewohnten Ländern versteht sich) finden wird, worauf nicht schon jemand irgendeinmal einen dummen Streich begangen hat, so ließ ich mir doch denjenigen zeigen, wo der berühmte Lord Sackville einen sehr dummen gemacht haben soll. Er sollte nämlich einhauen und hieb nicht ein, welches dem König von Frankreich so viel wert war, als wenn ihm Lord Sackville allen Burgunder und Champagner, der in diesem Jahrhundert in Versailles noch getrunken werden wird, auf einem Brett bezahlt hätte. Von diesem Platz begab ich mich nach einem andern, der den Menschen mehr Ehre macht, nämlich nach dem Wirtshause, das an der Stelle desjenigen aufgebaut ist, in welchem Prinz Ferdinand sich größtenteils aufhielt, der Ort, an dessen Ende es liegt, heißt Todtenhausen und hat lange vor der Schlacht schon so geheißen, warum? das weiß ich nicht, auch die Bauern nicht die da im Wirtshause waren. Die Nacht darauf, die ich in einem Wirtshause eines Dorfs namens Hille auf der Streue zugebracht habe, ist gar zu merkwürdig, deswegen sage ich kein Wort davon.  

Nun bin ich schon 13 Tage in Osnabrück, wollte Gott, daß ich so viel Wochen dagewesen wäre, so dächte ich wieder an das Hinaufpoltern Ihrer Treppe oder wäre wohl gar schon einmal hinaufgepoltert. So aber - - mit was für spitzen Nasen und Fingern werd ich diese 13 Wochen erkaufen müssen, die Taler nicht zu vergessen. Ich baue jetzt sehr stark und habe nun zum erstenmal Gelegenheit dasjenige zum Teil in Ausübung zu bringen was mich der Herr Professor Meister anno 1764 lehrte. Künftig soll etwas von meiner Situation in Osnabrück folgen, nebst einer Einleitung zur Kenntnis der Westfälischen Mädchen, die würklich etwas Vorzügliches an sich haben. Haben das nicht alle Mädchen, werden Sie fragen. Allerdings, das ist alles was ich jetzt antworten kann. Also (noch in der Enge) empfehlen Sie mich Ihrem wertesten Haus und Herrn Professor Meister.

Zweiter Teil:

Professor Lichtenbergs kulinarische Erfahrungen in Osnabrück

Brief an Johann Christan Dieterich
[Osnabrück, September oder Oktober 1772]


[...] Mit dem Schinkenkauf ist es jetzt ganz außer der Zeit, die Leute haben fast meistens nur noch einen oder 2*), die sie nicht gerne oder doch nur wohl bezahlt hergeben. Pumpernickel hingegen kann man allemal haben, denn die Westfälinger beten täglich: unsern täglichen Pumpernickel gib uns heut. Also den bekommst Du gewiß nebst ein paar westfälischen Tanzschuhen, die ich schon gekauft habe, worin Du mir bei meiner Ankunft etwas vortanzen sollst. Wenn ich selbst komme, bringe ich auch wohl Schinken mit. Denn Pumpernickel wirst Du kaum und Christelchen gar nicht essen können, es ist beinah als wenn man das liebe Korn roh äße. Ich habe es oft versucht und ließ mir ein Stück geben, das etwa 20 Bauernbissen enthalten mochte. Ich biß etwas mit einer ernsthaften Miene ab. Sollst Du das Brot, so wie es Gott erschaffen hat, nicht essen können, das Brot das den hiesigen Bauer-Mädchen die schöne Haut, die Munterkeit und das feste Fleisch gibt? sagte ich und fing an es mit meinen Zähnen zu mahlen, denn das fehlt ihm. Ich kaute fort, es war entsetzlich, zuweilen geriet ich über dem Kauen in ein Lachen und gab die 19_ übrige Bissen den Pferden, zuweilen machte ich andächtige Betrachtungen: Was muß das für ein Gott sein, der Mädchen-Fleisch aus diesen Sägspänen macht: zuweilen wurde der Einfall mutwilliger: Wir wollen warten, bis sich die Sägspäne verwandelt haben, da sollen sie wohl besser gehen, allemal aber konnten doch die Pferde auf die 19 _ Bauernbissen Rechnung machen. Weiter habe ich es noch nicht bringen können, der Pumpernickel vor der Verwandlung in - - ist etwas Abscheuliches, nach der Verwandlung aber - - - - etwas, desgleichen kein sterblicher Bäcker je gebacken hat noch backen wird. - So viel vom Pumpernickel und dessen Verwandlung.
    *) ich schwöre drauf, daß dieses ein ernsthafter Gedanke ist.

Dritter Teil:

Professor Lichtenbergs ethnologische Observationen in Osnabrück

Brief an Joel Paul Kaltenhofer
Osnabrück, den 12ten Octobris 1772


[...] Mein Observatorium ist fertig, und ich observiere schon 6 Tage, auch die Mondfinsternis habe [ich] astronomisch gesehen.

Ehe ich mich nach den Sternen wendete, so sah ich erst wo ich stund, das ist, ich beobachtete die Menschen mit denen ich zu tun hatte. Sie können nicht glauben, was die gemeinen Leute (denn die vornehmen taugen überall nicht viel in der Welt) für gute Häute und Seelen sind. Was für gute Bildungen, gesunde Farben und treuherzige Gemüter habe ich hier nicht gesehen! Die Bauernmädchen sind fast alle schön, sie gucken alle so grad und unverfälscht aus den Augen, daß sie bei Tage wenigstens jeden mutwilligen Gedanken wieder niederschlagen wenn er aufwill, bei Leuten versteht sich, die, wie ich, die Mienen etwas buchstabieren gelernt haben. Ihre Sprache ist sehr reich und naiv. Sie sollen 44 Redensarten haben zu sagen, der Kerl hat die Flucht ergriffen. Für den Schlitz in einem MädchenRock haben sie 3 Wörter, worunter mir eines vorzüglich gefällt, das mich meine Aufwärterin gelehrt hat, doch mit so vieler Unschuld als ein Schul-Rektor von 60 Jahren seine Schüler das Wort penis. Lurlock sagen sie, auch Lurkholl (hole heißt noch im Englischen ein Loch) und Schröerholl, das letzte kann ich nicht analysieren, das erste hat mich deswegen sehr gefreut, weil im Englischen lurk so viel heißt als lauern, und würde man also lurlock durch Lauerloch übersetzen müssen. Denn das Göttingische Lork ist es wohl nicht. Wicht heißt ein Mädchen wenn es ganz allein steht, in der Zusammensetzung auch überhaupt eine junge Person, unser Bösewicht kommt wohl daher. En Grummel heißt ein Donnerwetter, et is en Grummel in der Lucht heißt, es ist ein Gewitter in der Luft, das ft verwandelt sich öfter in ch, achter heißt hinter und ist das englische After, die Holländer sagen ebenso.

Am Sonntage vor 8 Tagen haben wir das Jubiläum gefeiert. Es wurden, stellen Sie sich vor, 5 Kanonen auf den Markt nur etwa 30 Schritte von meinem Fenster hingepflanzt, die des Morgends um 8, des Nachmittags um 3 und des Abends um 7 gelöst wurden, zu gleicher Zeit wurden alle Kanonen um den Wall gelöset, wozu meine 5 das Signal waren. Die Katholiken hingegen hatten vor der großen Kirche 12 hingepflanzt, aus denen sie beinah den ganzen Tag feuerten, so daß ich an diesem Tage (es war just der Tag, da Sie den Brief an mich auf Ihrer Sommerstube schrieben) recht gesättigt worden bin. Auf dem Markt wurde den Leuten, und darunter auch mir, angedeutet die Fenster zu öffnen, zu meiner großen Freude, wie Sie sich vorstellen können. Kurz vor 8 legte ich mich mit einer Pfeife ans Fenster in der größten Erwartung, auf einmal, just da ich nach der andern Seite hinsah, ging die erste los. Sie können mir auf mein Wort glauben, die erste Empfindung, die ich davon hatte, äußerte sich gar nicht wie ein Knall, sondern just wie eine Ohrfeige. Ich glaube, ich habe mich in meinem Leben noch nicht so geschwind umgeguckt. Jetzo guckte ich hübsch immer auf die Zündlöcher, und dieses minderte den Schrecken etwas.

Am Abend war es außerordentlich schön, als diejenige gelöset wurde, die zunächst an der Marktkirche stund, so kam ein Teil eines Kirchenfenster herausgeflogen, welches mit einem allgemeinen Jubelgeschrei aufgenommen wurde. An diesem Tage war ich etwas ausgelassen, welches ich fast immer bei Kanonaden bin, am Abend trank ich unsrer Gartengesellschaft in Göttingen Gesundheit während des Grummels von den Kanonen, welches unbeschreiblich angenehm war, ich hätte mir eine von meinen Locken drum abgeschnitten, wenn Sie und Herr Professor Meister hätten bei mir sein können. So oft eine Kanone auf dem Wall gelöset wurde, wurde allemal der Turm der Marktkirche gegen mir über wie vom Blitz erleuchtet, und dann kam der Schlag. Ich glaube, ich habe Ihnen schon gesagt, daß man das Fest feierte, weil vor 1000 Jahren Karl der Große die christliche Religion eingeführet hat, des Abends ging es in manchen Straßen her, als wenn man sie ihm zu Ehren wieder abstellen wollte.

Gestern wollte ein Brunnenmeister die Röhre in einen 24 Fuß tiefen Brunnen einsetzen, und was das künstlichste war, so wollte er sie einsetzen ob er gleich so besoffen war, daß er auf kein Bein stehen konnte. Der Eigentümer der Pumpe fand ihn gegen seinen Rausch arbeitend, ohne daß der Mann nur einen Zoll seinem Zweck näher gekommen wäre. Guter Freund, sagte der Bürger, laßt es heute, es geht nicht, es hat auch keine Eile. Ei, sagte der Pumpenmeister, so soll die Röhre auch hinein und wenn - - Da gab ihm der Tod einen so entsetzlichen Hieb, daß er nicht einmal das auch, das vermutlich folgen sollte, aussprechen konnte. Er fiel nämlich zwischen der Röhre und der Wand des Brunnens hinunter und wurde mit ganz zerschellertem Kopf herausgezogen. Mein Barbier, der dabei stund und ihm noch nachgriff, hat mir dieses erzählt.

Was dieses für ein Brief ist, ich schäme mich fast ihn wegzuschicken. Aber ich weiß, Sie halten es mir zugut.

Vierter Teil:

Professor Lichtenbergs Erfahrungen mit der Osnabrücker Gerüchteküche

Brief an Joel Paul Kaltenhofer
Osnabrück, den 12ten November schon! [1772]


[...] Ich wohne ganz am Ende der Stadt (und zwar an dem Ende nach der Speckstraße zu), in einem königlichen Gebäude von einer Etage, also an der Erde. Ich habe zwei Fenster in meiner Stube, wovon das eine so ziemlich gegen Mittag und das andere ebenso ziemlich gegen Morgen liegt. Diese von mir bewohnte Ecke steht in einen Bleichplatz hinein, der dem hiesigen Dom-Kapitul gehört, das hier sein geist- und weltliches Linnen, ich meine seine Altar- und Tafeltücher bleicht und trocknet. Alle Nacht halten sich in einer 30 Schritte von meiner Stube belegenen Hütte, aus der meine Fenster bestrichen werden können, alte Waschweiber auf, die alle im Fegfeuer unsrer Kirche, zwischen Himmel und Erde, ich meine zwischen 60 und 75 sind, unsern Göttingischen Tobaksraucherinnen so ähnlich als ein Ei pp, nicht doch, als eine Elster der andern.

Diese Geschöpfe haben neulich öffentlich und mit hundert Umständen ausgesagt, es wäre in der Nacht vom 3 auf den 4ten November um ein Uhr ein Mädchen zu meinem mittäglichen Fenster hinein gestiegen und gegen 2 Uhr wieder heraus. Sie waren so bescheiden es unentschieden zu lassen, ob es in Herzens-Angelegenheiten oder in Geld-Angelegenheiten, oder in Geld- und Herzensangelegenheiten zugleich geschehen wäre, und zeigten es meinem Bedienten, der die nordöstliche Ecke bewohnt, am folgenden Morgen an. Weil nun dieses Einsteigen durchs Fenster, wenn es auch die Muse Uranie selbst gewesen wäre, nicht mit zur Bestimmung der Polhöhe gehört, und ich unter den Augen eines geizigen Ministerii nichts tun darf was nicht einige Beziehung auf Latitudinem et Longitudinem geographicam dieser Stadt hat, so frappierte es mich nicht wenig, zu sehen, daß die alten Weiber ein Lauffeuer angefangen hatten, in welches gewiß noch vor Abend die Minister, Subalterne und Damen ihre Büchsen, Pistolen und Buffertgen mischen würden.

Geh er hin, sagte ich also zu meinem Bedienten, und sage er dem Gesindel, sie sollten nicht träumen, wo sie wachen sollten, sonst würde ich auf Mittel sinnen sie wach zu halten. Mein Heinrich, der sich für die Ehre seines Herrn beschneiden ließe, wenn es darauf ankäme, brachte ihnen diese Pille, mit einem bitteren Zusatz aus seinem eignen Kram, so daß es zu einem förmlichen Gackern kam, das dem Lauffeuer noch mehr Geschwindigkeit erteilte, und nun ist es ausgemacht, daß in der Nacht vom 3ten auf den 4ten November ein Wicht zu dem lüttchen Professor gestiegen sei.

Weil ich seit Menschen Gedenken, glaube ich, der erste Fremde bin, der sich 8 Wochen hier aufgehalten hat, und lange, wegen meiner unbegreiflichen Geschäfte allhier, das einzige Gespräch beim Lhombre-Tische und beim Spinnrade gewesen bin, auch viele Osnabrücker in Göttingen studieren, denen ihre Eltern solche Instanzen unserer verdorbenen Natur lieber zuschicken mögen als Geld, so fürchte ich, daß das Märchen schon die Weser passiert hat und seinen öffentlichen Einzug auf dem Masche zu Göttingen ehestens halten wird. Ich habe also für nötig erachtet ihm diesen Steckbrief nachzuschicken, damit Sie, wenn es Ihnen begegnen sollte, es gleich erkennen und anhalten können. In Göttingen wäre so etwas gleich vergessen, allein hier, wo die Pfaffen und Domherren allein das Recht haben, Huren zu halten, weil sie das Gelübde der Keuschheit ablegen, wird so etwas schon höher angesehen.

Das Betrübteste ist, daß ich bei Personen, die ich gerne eines Besseren belehrte, meine Unschuld nicht verteidigen darf (denn ich kann doch mit dem Könige nicht von Hosenlätzen sprechen) und hingegen diejenigen, wo ich es ungescheut tun könnte, mir ohnehin verzeihen würden, wenn auch die Geschichte wahr wäre. Das sind die infamsten Splitter im Fleisch, die man nicht stecken lassen mag und auch nicht herausziehen kann. Verzeihen Sie mir, wertester Freund, daß ich Sie mit solchen Histörchen unterhalte, wenn Sie nur ein einzigesmal dabei gelächelt haben, so bin ich zufrieden. [...]

Ich habe die Polhöhe hier 8 Minuten geringer gefunden, als sie auf den Karten angegeben ist. Die Sonnenfinsternis habe ich nicht gesehen und selbigen ganzen Tag aus Verdruß, der Astronomie zum Trotz, in Bakers Geschichte der Inquisition gelesen. Das war ein betrübter Vorfall. Das Wetter ist jetzt hier abscheulich, es regnet, stürmt und blättert entsetzlich. Wenn ich dann bedenke, daß ich im Herzen von Westfalen bin, so frage ich mich immer wieder: Aber was dann anfangen?

Anmerkungen

Im Herbst des Jahres 1772 hielt sich Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799), der Göttinger Professor für Mathematik und Physik, in Osnabrück auf, um dort - genau wie zuvor in Hannover und anschließend in Stade - im Auftrag des hannoverschen Kurfürsten die astronomische Ortsbestimmung der Stadt vorzunehmen. Und hier wie dort meldete der »lüttche« (auf Grund einer Rückgratsverkrümmung zur Zeit seiner Kindheit kleinwüchsige und bucklige) Professor seine Erlebnisse in witzigen Briefen nach Göttingen: an seinen Freund, den Universitäts-Zeichenlehrer Joel Paul Kaltenhofer oder an seinen Vermieter (und Verleger) Johann Christian Dieterich. Mehr von und über Lichtenberg - siehe unter »Elbmarsch«, »Lüneburger Heide«, »Hannover«.

Quelle

Georg Christoph Lichtenberg, Schriften und Briefe (Hrsg. Wolfgang Promies), München : Hanser, 1967, Bd. 4, Briefe, S. 89 - 92, S. 95f, S. 97ff, S.101 ff.