"Mein Gott! da sieht es sauber aus!"

Autor

Heinrich Heine

Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim, 1831

- 1844 -

Deutschland.

Ein Wintermärchen

Kaput XIX


[...]

    Ich kam nach Hannover um Mittagzeit,
Und ließ mir die Stiefel putzen.
Ich ging sogleich, die Stadt zu besehn,
Ich reise gern mit Nutzen.

    Mein Gott! da sieht es sauber aus!
Der Kot liegt nicht auf den Gassen.
Viel Prachtgebäude sah ich dort,
Sehr imponierende Massen.

    Besonders gefiel mir ein großer Platz,
Umgeben von stattlichen Häusern;
Dort wohnt der König, dort steht sein Palast,
Er ist von schönem Äußern

    (Nämlich der Palast). Vor dem Portal
Zu jeder Seite ein Schildhaus.
Rotröcke mit Flinten halten dort Wacht,
Sie sehen drohend und wild aus.

    Mein Cicerone sprach: »Hier wohnt
Der Ernst Augustus, ein rechter
Englischer Tory, jagdjunkerlich stolz,
Ein hagerer Volksverächter.

    Idyllisch sicher haust er hier,
Denn besser als alle Gewehre
Beschützet ihn der mangelnde Mut
Der deutschen Revoluzionäre.

    Ich seh' ihn zuweilen, er klagt alsdann,
Wie gar langweilig das Amt sei,
Das Königsamt, wozu er jetzt
Hier in Hannover verdammt sei.

    An großbritannisches Leben gewöhnt,
Sei es ihm hier zu enge,
Ihn plage der Spleen, er fürchte schier,
Daß er sich mal erhänge.

    Vorgestern fand ich ihn traurig gebückt
Am Kamin, in der Morgenstunde;
Er kochte höchstselbst ein Lavement
Für seine kranken Hunde.«

Anmerkungen

Im Spätherbst 1843 kehrte Heinrich Heine - nach mehr als zwölfjähriger Abwesenheit - zum ersten Mal wieder nach Deutschland zurück. Er fuhr von Paris über Brüssel, Amsterdam und Bremen nach Hamburg und kam auf der Rückreise auch durch Hannover. In seinem (nach eigenem Bekunden »höchst humoristischen«) Epos »Deutschland. Ein Wintermärchen«, das er schon im Januar 1844 in Angriff nahm, stellte er seine Reise-Route dann in umgekehrter Reihenfolge dar. Wie er seinem Hamburger Verleger mitteilte, werde das »Werkchen« mehr »Furore machen als die populärste Broschüre« und »dennoch den bleibenden Wert einer klassischen Dichtung« besitzen. Das ist wohl wahr, und in jedem Fall behielt sein Ausruf über die hannoversche Sauberkeit eine gewisse klassische Bleibedauer (bis sich der Eindruck der Reinlichkeit ein wenig verflüchtigte). Der im »Kaput XIX« auftretende »Cicerone« ist notabene Heines Anwalt und Satiriker-Kollege Johann Hermann Detmold, der hannoversche König Ernst August ist jener vom Bahnhofsplatz, und bei der Textgestalt der Hannover-Passagen haben wir uns gelegentlich erlaubt, auf Heinrich Heines ursprüngliche Handschrift-Fassung des »Wintermärchens« zurückzugehen.

Quelle

Heinrich Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen.
In: Sämtliche Werke (Hrsg. Ernst Elster), Leipzig und Wien : Bibliographisches Institut, 1890, Bd. 2, S. 470f (Lesarten: S. 545)