Bibliothekar in Wolfenbüttel

Aus Briefen der Jahre
1770 – 1780

An Friedrich Nicolai

Hamburg, den 2. Januar 1770

[...] Ich bin in Braunschweig gewesen, und habe das Anerbieten des Erbprinzen, von dem Herzoge genehmiget, angenommen, mit der mir von beiden getanen Versicherung, daß sie meiner Reise nach Italien nicht allein zuwider sein, sondern selbige vielmehr befördern wollen, sobald ich nur vors erste ihren eignen Vorrat an Büchern, Manuskripten, Gemälden, Altertümern kennen gelernt, um zu wissen, was ich Ihnen zur Vermehrung mitbringen könne. Sie sehen wohl, daß mich dieses leicht, wenigstens ein Jahr, in Wolfenbüttel halten kann. [...] Ich denke, ungefähr in acht Wochen, gänzlich von hier nach Wolfenbüttel abzuziehen, wo ich schon jetzt, außer meinen Beschäftigungen, so mancherlei Anschläge auszuführen, die Mittel vor mir sehe [...].

An Friedrich Nicolai

Wolfenbüttel, den 17. Mai 1770

[...] Gott sei Dank, daß ich nun anfange, wieder in Ordnung zu kommen. Ich habe die Bibliothek übernommen, und die ersten vierzehn Tage, meiner bloßen Neugierde gewidmet, gehen auch zu Ende. Ich schicke mich allmählich an, in den Stunden, die mir meine Bibliotheksgeschäfte lassen – die fürs erste auch nicht klein sind -, meine beiseite gelegten Arbeiten wieder vor die Hand zu nehmen. [...]  Ich habe alle Gründe, zu hoffen, daß ich hier recht glücklich leben werde. Auf Jahr und Tag werde ich sogar meine Reise aus den Gedanken verlieren; denn ich sehe so viel andere Nahrung für mich, daß ich kaum weiß, worauf ich zuerst fallen soll. Fürs erste werde ich ganz Buridans Esel spielen. Ich wohne in einem großen verlassenen Schlosse ganz allein : und der Abfall von dem Zirkel, in welchem ich in Hamburg herumschwärmte, auf meine gegenwärtige Einsamkeit ist groß, und würde jedem unerträglich sein, der nicht alle Veränderung von Schwarz in Weiß so sehr liebt als ich. [...)

An Johann Gottfried Lessing [den Vater]

Wolfenbüttel, den 27. Julius 1770

[...) Ich war endlich in eine Last von Schulden geraten, von der ich mich noch lange nicht durch den gänzlichen Verkauf aller meiner Bücher befreien können; und es war die höchste Zeit, daß ich durch die hiesige Versorgung wiederum eine gewisse Einnahme erhielt.
Eigentlich ist es der Erbprinz, welcher mich hierher gebracht. Er ließ mich auf die gnädigste Art zu sich einladen; und ihm allein habe ich es zu danken, daß die Stelle des Bibliothekars, welche gar nicht leer war, für mich eigentlich leer gemacht ward. Auch der regierende Herzog hat mir hierauf alle Gnade erwiesen, deren ich mich von dem gesamten Hause zu rühmen habe, welches aus den leutseligsten besten Personen von der Welt besteht. Ich bin indes der Mensch nicht, der sich zu ihnen dringen sollte : vielmehr suche ich mich von allem, was Hof heißt, so viel möglich zu entfernen und mich lediglich in den Zirkel meiner Bibliothek einzuschränken.
    Die Stelle selbst ist so, als ob sie von jeher für mich gemacht wäre : und ich habe es um so viel weniger zu bedauern, daß ich bisher alle andern Anträge von der Hand gewiesen. Sie ist auch einträglich genug, daß ich gemächlich davon leben kann, wenn ich nur erst wieder auf dem Trocknen, das ist, aus meinen Schulden, sein werde : Sechshundert Taler Gehalt, nebst freier Wohnung und Holz aus dem fürstl. Schlosse.
Das allerbeste aber dabei ist die Bibliothek, die Ihnen schon dem Ruhme nach bekannt sein muß, die ich aber noch weit vortrefflicher gefunden habe, als ich mir sie jemals eingebildet hätte. Ich kann meine Bücher, die ich aus Not verkaufen müssen, nun sehr wohl vergessen. Ich wünschte in meinem Leben noch das Vergnügen zu haben, Sie hier herumführen zu können, da ich weiß, was für ein großer Liebhaber und Kenner Sie von allen Arten von Büchern sind. Eigentliche Amtsgeschäfte habe ich dabei keine andere, als die ich mir selbst machen will. Ich darf mich rühmen, daß der Erbprinz mehr darauf gesehen, daß ich die Bibliothek, als daß die Bibliothek mich nutzen soll. Gewiß werde ich beides zu verbinden suchen : oder eigentlich zu reden, folget schon eines aus dem andern. [...]

An Eva König

Braunschweig, den 15. Nov. 1771

Meine Liebe!
Ich bin seit drei Tagen in Braunschweig, wo ich allerlei zu tun habe, so daß ich Ihnen schwerlich von hier aus schreiben würde, wenn mir nicht etwas auf dem Herzen brennte, das ich unmöglich länger für mich behalten kann, und das ich Ihnen notwendig mit ein paar Worten melden muß.
Man läßt sich, über Berlin, durch den Kanal des P[rofessor] S[ulzer] und des jungen B[aron] von Sch[wieten], welcher, wie Sie wissen, Kaiserlicher Gesandte in Berlin ist, bei mir erkundigen, ob ich wohl geneigt wäre, unter vorteilhaften Bedingungen nach Wien zu kommen. Näher will man sich darüber nicht auslassen, bis ich mich vorläufig erkläret, ob man überhaupt auf mich rechnen könne oder nicht.
    Ich antworte mit heutiger Post, wenn der Vorschlag nicht das Theater beträfe, so könne man auf mich rechnen. Nur mit dem Theater möchte ich nichts zu tun haben, wenigstens so lange nicht, als es unter einem Impressario stehe und nicht unmittelbar von dem Hofe abhänge. [...] Habe ich recht geantwortet, meine Liebe? – Ich will es hoffen, und Sie begreifen leicht, was meine liebste Aussicht dabei sein kann. Was geschehen soll, weiß sie Vorsicht am allerbesten zu lenken. – Wenigstens sehe ich doch aus dieser Anfrage, daß man in Wien an mich denkt – an dem Orte, von welchem Sie so gern los sein möchten, und von welchem Sie vielleicht nie loskommen sollen. – [...]

An Eva König

Braunschweig, den 6. Dez. 1771

[...] Der Vorschlag nach Wien betrifft das Theater nicht; und da es doch so ganz ausgemacht noch nicht ist, daß Sie sich von Wien gänzlich trennen müssen, so bleibt es bei meinem ersten Gedanken, und ich habe nochmals geäußert, daß ich mir die Veränderung wolle gefallen lassen. [...] Vorläufig versichert man nur, daß ich auf zweitausend Taler Rechnung machen könnte, und diese, denke ich, werden in [Wien] doch wenigstens immer so gut sein, als sechs- oder achthundert Taler allhier. Es ist gewiß, und ich fange es wieder sehr deutlich an zu empfinden, daß, so einsam und verlassen ich jetzt da leben muß, mein Aufenthalt ohnedem von Dauer daselbst nicht mehr sein würde : und da ich voraussehe, daß ich doch, über lang oder kurz, mich nach einer Veränderung sehnen würde, so wäre es töricht, wenn ich diese Gelegenheit wollte aus den Händen gehen lassen. [...]

An Karl Lessing [den Bruder]

Wolfenbüttel, den 31. Dezbr. 1771

Ich habe zurzeit noch nichts in der bewußten Angelegenheit aus Wien vernommen, und ich muß Dir sagen, wenn man daselbst verlangt, daß ich erst zum Besuche hinkommen soll, so kann aus der ganzen Sache nichts werden. Denn denke nur selbst, wie unanständig und unsicher es sein würde, zu einer solchen Reise den Herzog um Urlaub zu bitten. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? oder sollte ich sie ihm nicht sagen? Sagte ich sie nicht : was könnte ich für einen Vorwand brauchen? und welcher Vorwand würde wahrscheinlich genug sein, daß man nicht sogleich hindurchsehen könnte? Sagte ich ihm aber die Wahrheit, nämlich, daß ich mich in Wien besehen wollte, ob es mir zu einem beständigen Aufenthalt da gefiele : was könnte ich mir für eine Antwort gewärtigen? [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 1. Mai 1772

[...] Ach, ich stecke jetzt in Arbeit bis über die Ohren und quäle und büffle mich den ganzen Tag. Ich möchte nämlich, was ich in der Bibliothek angefangen habe, – und das ist nichts Geringers, als hunderttausend Bücher in eine völlig andre Ordnung bringen – gern diesen Sommer zustande haben, um vorkommendenfalls so geschwind hier abbrechen zu können, als möglich. Da ich aber dieses und sonst noch andre Dinge auf meinen Abzug einrichte, so lasse ich mir doch gegen keine Seele das geringste davon merken, vielmehr tue ich, als ob ich hier leben und sterben wollte. Und wie leicht kann dieses auch wirklich kommen! Denn ich sehe, daß sich in W[ien] die Sachen sehr auf die lange Bank ziehen [...]. Ich will hier sein, wie wir überhaupt in der Welt sein sollten : gefaßt, alle Augenblicke aufbrechen zu können und doch willig, immer länger und länger zu bleiben. Ich werde auch sogar nicht nur willig, sondern auch mit vielem Vergnügen bleiben, mit der einzigen Bedingung, – die Sie wissen, meine Liebe. [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 26. Oktob. 1772

[...] Sie wissen, meine Liebe, was ich Ihnen oft gestanden habe : daß ich es auf die Länge unmöglich hier aushalten kann. Ich werde in der Einsamkeit, in der ich hier leben muß, von Tag zu Tag dümmer und schlimmer. Ich muß wieder unter Menschen, von denen ich hier so gut als gänzlich abgesondert bin. Denn was hilft es mir, daß ich hier und in Braunschweig diesen und jenen besuchen kann? Besuche sind kein Umgang, und ich fühle es, daß ich notwendig Umgang und Umgang mit Leuten haben muß, die mir nicht gleichgültig sind, wenn noch ein Funken Gutes an mir bleiben soll. Ohne Umgang schlafe ich ein und erwache bloß dann und wann, um eine Sottise zu begehen. [...)

An Karl Lessing

Wolfenbüttel, den 28. Okt. 1772

[...] Ich habe gearbeitet, mehr als ich sonst zu arbeiten gewohnt bin. Aber lauter Dinge, die, ohne mich zu rühmen, auch wohl ein größerer Stümper ebensogut hätte machen können. Ehestens will ich Dir den ersten Band von Beiträgen zur Geschichte und Literatur, aus den Schätzen der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel usw. schicken, womit ich so lange ununterbrochen fortzufahren gedenke, bis ich Lust und Kräfte wieder bekomme, etwas Gescheiteres zu arbeiten. Das dürfte aber sobald sich nicht ereignen. Und in der Tat, ich weiß auch nicht einmal, ob ich es wünsche. Solche trockne Bibliothekararbeit läßt sich so recht hübsch hinschreiben, ohne alle Teilnehmung, ohne die geringste Anstrengung des Geistes. Dabei kann ich mich noch immer mit dem Troste beruhigen, daß ich meinem Amte Genüge tue und manches dabei lerne; gesetzt auch, daß nicht das Hundertste von diesem Manchen wert wäre, gelernt zu werden. [...]

An Eva König

Braunschweig, den 15. Febr. 1773

[...] Also mit wenig Worten : es ist hier vor kurzem ein Hofrat gestorben, den der Herzog vornehmlich in solchen Sachen brauchte, welche die Geschichte und die Rechte des Hauses betrafen. Der Erbprinz hat geglaubt, daß, wenn ich wollte, es mir nicht schwer werden könnte, in wenig Zeit die hierzu nötige Kenntnis und Geschicklichkeit zu erlangen. Er trug mir also diese Stelle, mit Beibehaltung des Bibliothekariats, an und versicherte mich, daß er mich so dabeisetzen wollte, daß ich mit möglichster Zufriedenheit mich hier fixieren könnte.
    Aber darauf, sagte er, kommt es sodann auch an! Sie müssen bei uns bleiben und Ihr Projekt, noch in der Welt viel herumzuschwärmen, aufgeben. [...] Ich nahm seinen Antrag vorläufig an [...].

An Eva König

Wolfenbüttel, den 3. April 1773

[...] Möchte ich nun nicht rasend werden! Ohne die geringste Veranlassung von meiner Seite läßt man mich ausdrücklich kommen, tut wer weiß wie schön mit mir, schmiert mir das Maul voll, und hernach tut man gar nicht, als ob jemals von etwas die Rede gewesen wäre. Ich bin zweimal seitdem wieder in Braunschweig gewesen, habe mich sehen lassen, und verlangt zu wissen, woran ich wäre. Aber keine oder doch so gut wie keine Antwort! Nun bin ich wieder hier und habe es verschworen, den Fuß nicht eher wieder nach Braunschweig zu setzen, bis man ebenso von freien Stücken die Sache zu Ende bringt, als man sie angefangen hat. Bringt man sie aber nicht bald zu Ende, und läßt man mich erst hier in der Bibliothek und mit gewissen Arbeiten fertig werden, mit welchen ich nicht anders als in Wolfenbüttel fertig werden kann und muß, wenn ich nicht alle meine daselbst zugebrachte Zeit verloren haben will, so soll mich sodann auch nichts in der Welt hier zu halten vermögend sein. Ich denke überall soviel wieder zu finden, als ich hier verlassen. Und wenn ich es auch nicht wieder fände. Lieber betteln gegangen, als so mit sich handeln lassen! [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 1. Dez. 1773

[...] Noch immer die alte Leier : Ich bin mißvergnügt, ärgerlich, hypochondrisch, und in so einem Grade, daß mir noch nie das Leben so zuwider gewesen. Soll ich fortfahren, Ihnen das so recht zu beschreiben? Ich bin seit vier Monaten so gut wie gar nicht aus Wolfenbüttel und aus meinem verwünschten Schlosse gekommen. Ich bin nur zweimal auf ein paar Stunden in Braunschweig gewesen; denn ich habe es verredet, in meiner gegenwärtigen Lage niemals wieder eine Nacht in dem Braunschweig zu bleiben, wo man sich gegen mich (Sie wissen wer) auf eine Art beträgt, die mir unerträglich fällt, auf eine Art, die ich zu anderer Zeit, unter andern Umständen, um alles in der Welt so lange nicht ertragen hätte. Ich will ihm daher schlechterdings nicht in die Augen zu kommen Gefahr laufen! Wenn er mich bei der Nase geführet haben will, so hab er es! Aber ich werde es ihm in meinem Leben nicht vergessen. Künftigen Januar wird es ein Jahr, daß er mir den ersten Antrag eigenhändig tat. So lange warte ich nur noch, um ihm alsdann meine Meinung so bitter zu schreiben, als sie gewiß noch keinem Prinzen geschrieben worden.
Was kann ich aber indes tun, als mich unter meine Bücher vergraben, um unter ihnen, wo möglich, alle Aussicht in die Zukunft zu vergessen? [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 8. April 1774

Meine Liebe!
Bei allem, was heilig ist! Wenn ich die ganzen langen vier Monate, in denen ich nicht an Sie geschrieben, einen einzigen vergnügten oder nur ruhigen Tag gehabt hätte, so könnte mir selbst mein Stillschweigen nicht anders als sehr schurkisch vorkommen. Das wäre der wahre Ausdruck dafür! [...] Denn hier ist es länger nicht auszuhalten. Es wird von Tag zu Tag schlimmer, und die bereits seit anderthalb Jahren verkümmerten Salaria werden es gewiß mit nächsten noch mehr werden. Von dem Erbprinzen, wie ich ihn nunmehr kenne, wenn er heute oder morgen zur Regierung kommen sollte, kann ich mir gewiß versprechen, daß er die ganze Bibliothek mit samt dem Bibliothekar lieber verkaufen wird, sobald sich nur ein Käufer dazu findet. [...]

An Karl Lessing

Wolfenbüttel, d. 30. April 1774

[...] Schlechterdings will ich, in der elenden Lage, in der ich mich hier befinde, kein Jahr länger aushalten, es komme, wohin es wolle. Der Unbeständigkeit dürfen mich meine Freunde darum nicht beschuldigen. Es ist nie mein Wille gewesen, an einem Orte, wie Wolfenbüttel, von allem Umgange, wie ich ihn brauche, entfernt, zeit meines Lebens Bücher zu hüten. Morgen tue ich das schon vier Jahre, und da ich es nur allzusehr empfinde, wieviel trockner und stumpfer ich an Geist und Sinnen diese vier Jahre, trotz aller meiner sonst erweiterten historischen Kenntnis, geworden bin, so möchte ich es um alles in der Welt nicht noch vier Jahre tun. Aber ich muß es auch nicht ein Jahr mehr tun, wenn ich noch sonst etwas in der Welt tun will. Hier ist es aus, hier kann ich nichts mehr tun. [...]

An Eva König

Braunschweig, den 26. Februar 1776

[...] Ich werde also, wenn mir kein anderer Anlaß vorkommt, noch acht oder vierzehn Tage ruhig warten, und sodann dem Herzoge geradeheraus schreiben, daß mich das gänzliche Derangement meiner Affären nötige, eine Verbesserung zu suchen, und da ich diese in Braunschweig nicht abzusehen wisse, ich genötigt sei, um meinen Abschied zu bitten. Will man etwas für mich tun, so wird man es auf diese Erklärung gewiß tun. Will man nicht – ja nun freilich, so werde ich meinen Abschied bekommen.

An Eva König

Wolfenbüttel, den 10. März 1776

[...] Ich habe ihn doch getan, den Schritt, den Sie so sehr befürchteten. Aber freilich habe ich ihn mit mehr Behutsamkeit getan, als Sie aus meinem Schreiben urteilen konnten, daß ich es tun würde. Denn vor allen Dingen habe ich mich an den E[rb] P[rinzen] gewandt, und diesem sein Betragen gegen mich, seit drei Jahren, so handgreiflich vorgelegt, daß es ihn äußerst pikieren müssen. Das würden Sie mir, meine Liebe, vielleicht nun gerade abgeraten haben. Aber es hat seine Wirkung getan. Meine Äußerung, daß ich bei dem regierenden Herzog meinen Abschied fordern wolle, ist ihm sehr unerwartet gewesen, und er scheint im Ernst alles tun zu wollen, um es nicht dahin kommen zu lassen. [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 23. Juni 1776

[...]Worüber Sie sich vielleicht am meisten wundern werden ist dieses, daß ich nicht umhin gekonnt, den Hofratstitel mit anzunehmen. Daß ich ihn nicht gesucht, sind Sie wohl von mir überzeugt; daß ich es sehr deutsch herausgesagt, wie wenig ich mir daraus mache, können Sie mir auch glauben. Aber ich mußte endlich besorgen, den Alten zu beleidigen. [...]

An Karl Lessing

Wolfenbüttel, den 15. Sept. 1776

[...] Zuerst ist es eine große Unwahrheit, daß ich mich, der kleinen Verbesserung wegen, die man mir hier gemacht, hätte verpflichten müssen, niemals von hier wegzugehen. Um zehnmal soviel würde ich eine solche Verpflichtung nicht eingegangen sein. Soweit solltest Du mich doch wohl kennen. [...]

An Eva König

Wolfenbüttel, den 30. Sept. 1776

Meine Liebe!
Wenn ich Ihnen heute nicht zum letztenmal überhaupt schreibe, so wird es doch wahrscheinlich so zum letzten Male sein, daß ich keine Antwort mehr von Ihnen darauf erhalten kann. [...]
[Eine Woche später, am 8. Oktober 1776, heirateten Lessing und Eva König in Jork]

An Johann Joachim Eschenburg

Wolfenbüttel, den 31. Dezember 1777

Mein lieber Eschenburg!
Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Besonnenheit liegt, um Ihnen für Ihren gütigen Anteil zu danken. Meine Freude war nur kurz : Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! – Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner Vaterschaft mich schon zu so einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was ich sage. – War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisernen Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er sobald Unrat merkte? – War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davonzumachen? – Freilich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! – Denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. – Ich wollte es auch einmal so gut haben, wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen.
Lessing.

An Johann Joachim Eschenburg

Lieber Eschenburg!

Meine Frau ist tot : und diese Erfahrung habe ich nun auch gemacht. Ich freue mich, daß mir viel dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig sein können zu machen; und bin ganz leicht. – Auch tut es mir wohl, daß ich mich Ihres und unsrer übrigen Freunde in Braunschweig Beileids versichert halten darf.
    Wolfenbüttel                     Der Ihrige
den 10. Januar 1778                         Lessing

An Karl Lessing

Wolfenbüttel, den 23. Julius 1778

Mein lieber Bruder!
Ich muß mich nur gleich hersetzen, Dir zu antworten. Allerdings ist es wahr, daß das hiesige Ministerium, auf Ansuchen des Konsistorii, das neue Fragment und zugleich meine Antigoezischen Schriften verboten; auch mir zugleich untersagt hat, ferner etwas aus dem Manuskripte der Fragmente drucken zu lassen usw. Ich habe meine Ursachen, warum ich die Konfiskation des neuen Fragments recht gern geschehen lassen. Nur sollte man meine Schriften nicht zugleich mit konfiszieren; und darüber beiße ich mich auch noch gewaltig herum, fest entschlossen, die Sache auf das Äußerste ankommen zu lassen, und eher meinen Abschied zu nehmen, als mich dieser vermeinten Demütigung zu unterwerfen. [...]

An Elise Reimarus

Wolfenbüttel, den 9. Aug. 1778

Ich bin mir hier ganz allein überlassen. Ich habe keinen einzigen Freund, dem ich mich ganz anvertrauen könnte. Ich werde täglich von hundert Verdrießlichkeiten bestürmt. Ich muß ein einziges Jahr, das ich mit einer vernünftigen Frau gelebt habe, teuer bezahlen. Ich muß alles, alles aufopfern, um mich einem Verdachte nicht auszusetzen, der mir unerträglich ist. Wie oft möchte ich es verwünschen, daß ich auch einmal so glücklich sein wollen, als andere Menschen! Wie oft wünsche ich, mit eins in meinen alten isolierten Zustand zurückzutreten; nichts zu sein, nichts zu wollen, nichts zu tun, als was der gegenwärige Augenblick mit sich bringt! – Sehen Sie, meine gute Freundin, so ist meine wahre Lage. Haben Sie also bei so bewandten Umständen auch wohl recht, daß Sie mir raten, bloß um einem elende Feinde keine Freude zu machen, in einem Zustande auszudauern, der mir längst zur Last geworden? – Ah, wenn er wüßte, dieser elende Feind, wie weit unglücklicher ich bin, wenn ich ihm zum Possen hier aushalte! – Doch ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, – knirsche eins mit den Zähnen, – und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will! – [...]

An Elise Reimarus

[...] Das Angeschlossene ist eine Ankündigung, über welche meine Freunde sich zum Teil wundern werden. Aber wenn Sie im Decameron des Boccaz (I. 3.) die Geschichte des Juden Melchisedech, welche in meinem Schauspiele zugrunde liegen wird, aufschlagen wollen, so werden Sie den Schlüssel dazu leicht finden. Ich muß versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen.
    Mündlich bald ein Mehreres.
    Wolfenbüttel, Dero ergebenster Freund,
den 6. Septbr. 1778 Lessing

An Karl Lessing

Wolfenbüttel, den 7. November 1778

[...] Mein Nathan, wie mir Professor Schmidt und Eschenburg bezeugen können, ist ein Stück, welches ich schon vor drei Jahren [...] vollends aufs Reine bringen und drucken lassen wollen. Ich habe es jetzt nur wieder vorgesucht, weil mir auf einmal beifiel, daß ich, nach einigen kleinen Veränderungen des Plans, dem Feinde auf einer andern Seite damit in die Flanke fallen könne. Mit diesen Veränderungen bin ich nun zu Rande, und mein Stück ist so vollkommen fertig, als nur immer eins von meinen Stücken fertig gewesen, wenn ich sie drucken zu lassen anfing. Gleichwohl will ich noch bis Weihnachten daran flicken, polieren, und erst zu Weihnachten anfangen, alles aufs Reine zu schreiben, und à mesure abdrucken zu lassen, daß ich unfehlbar auf der Ostermesse damit erscheinen kann. [...] Ostern 1779 ist mein Stück gedruckt, und wenn auch nicht zwanzig Personen darauf subkribiert hätten; – und wenn ich es für mein eigenes Geld müßte drucken lassen.

An Moses Mendelssohn

[...] An dem Briefchen, das mir D. Flies damals von Ihnen mitbrachte, kaue und nutsche ich noch. Das saftigste Wort ist hier das edelste. Und wahrlich, lieber Freund, ich brauche so ein Briefchen von Zeit zu Zeit sehr nötig, wenn ich nicht ganz mißmutig werden soll. Ich glaube nicht, daß Sie mich als einen Menschen kennen, der nach Lobe heißhungrig ist. Aber die Kälte, mit der die Welt gewissen Leuten zu bezeugen pflegt, daß sie ihr auch gar nichts recht machen, ist, wenn nicht tötend, doch erstarrend. Daß Ihnen nicht alles gefallen, was ich seit einiger Zeit geschrieben, das wundert mich gar nicht. Ihnen hätte es gar nicht gefallen müssen; denn für Sie war nichts geschrieben. Höchstens hat Sie die Zurückerinnerung an unsere bessern Tage noch etwa bei der und jener Stelle täuschen können. Auch ich war damals ein gesundes schlankes Bäumchen; und bin jetzt ein so fauler knorrichter Stamm! Ach, lieber Freund! diese Szene ist aus! Gern möchte ich Sie freilich noch einmal sprechen!
    Wolfenbüttel, den 19. Dezember 1780 L.

[Knapp zwei Monate später, am 15. Februar 1781, ist Gotthold Ephraim Lessing an den Folgen eines Schlaganfalls in Braunschweig gestorben]

Anmerkungen

Als Gotthold Ephraim Lessing 1770 nach Wolfenbüttel kam, um die Leitung der herzoglich-braunschweigischen Bibliothek zu übernehmen, war er 41 Jahre alt und nach mehreren fehlgeschlagenen Projekten stark verschuldet. Er sah die Stelle darum mehr als befristete Übergangslösung, um wieder auf die Beine zu kommen, doch Wolfenbüttel war seine Endstation : all seinen Klagen zum Trotz blieb er hier bis zu seinem Tod.
    G.E. Lessing war am 22. Januar 1729 als Pfarrerssohn in Kamenz/Oberlausitz geboren worden, hatte nach dem Besuch der Meißener Fürstenschule in Leipzig erst Medizin, dann Theologie studiert und in Wittenberg das Magister-Diplom erworben. Schon in seiner Studentenzeit betätigte er sich literarisch : als Journalist, Literatur- und Theaterkritiker, doch auch bereits als Dramatiker (»Der junge Gelehrte«, »Die Juden«). Zusammen mit Friedrich Nicolai und Moses Mendelssohn brachte er von 1758 an die »Briefe, die neueste Literatur betreffend« heraus, die seinen Ruf als brillantester Stilist seiner Zeit bestärkten (und ihn zum gefürchtetsten Rezensenten machten...). Mit seinen Bühnenstücken »Miß Sara Sampson« (1755) oder »Minna von Barnhelm« (1767) schuf er Musterdramen fürs deutsche Theater. Im »Minna«-Jahr 1776 erhielt er einen Ruf als Dramaturg und beratender Kritiker an das »Deutsche Nationaltheater« in Hamburg. Indes: Das Unternehmen scheiterte, und daß Lessings – bahnbrechende – »Hamburgische Dramaturgie« dabei heraussprang, war für die Nachwelt ein Glücksfall, für ihn selber damals nur ein schwacher Trost. Und da auch sein nachfolgender Plan einer Verlagsgründung schiefging, war er froh, in Wolfenbüttel erstmal eine sichere Stellung beziehen zu können.
Zum Stückeschreiben kam er dort allerdings kaum mehr: 1772 brachte er seine »Emilia Galotti« heraus, doch dann dauerte es fast sieben Jahre, ehe mit seinem »Nathan« Furore machte, seinem opus magnum, das durch seine Fehde mit dem hamburgischen Hauptpastor Goeze provoziert worden war. Danach freilich war Lessings Lebenskraft gebrochen : Zuviel war zusammengekommen – der Tod seiner Frau Eva und seines neugeborenen Sohnes; die Querelen um die Publikation der (deistischen) »Reimarus-Fragmente«, wodurch eine Empörungs-Welle in der lutherischen Orthodoxie losbrach, die u.a. bewirkte, daß dem Bibliothekar Lessing die Befreiung von der Zensur aufgekündigt wurde; die nachfolgenden Polemiken um Lessings »Anti-Goeze«. Bei einem seiner Besuche im benachbarten Braunschweig erlitt Lessing einen Schlagfall, an dem er am 15. Februar 1781 starb – 52 Jahre alt.

Quelle

Gotthold Ephraim Lessing, Briefe und Schriften (Hrsg. Carl Enders). Berlin : Deutsche Verlagsanstalt, 1915.

[Vergl. auch unser Stichwort : KURT MEYER-ROTERMUND]

Publikationen

Titel Rubrik Verlag, Verlagsort Erscheinungsjahr Erwähnte Orte
Briefe und Schriften Hg.Carl Enders Deutsche Verlagsanstalt, Berlin 1915